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Retro-Review: Warum A Perfect Circle mit “eMOTIVe” das beste Coveralbum geschaffen haben

Passend zum Themenmonat “Die Kunst des Coverns” feiert eines der ambitioniertesten Projekte aus diesem musikalischen Handwerk in diesem Jahr sein 15-jähriges Jubiläum. Am ersten November 2004, pünktlich zur US-Präsidentschaftswahl, releasten A Perfect Circle “eMOTIVe”.

Die Bandgeschichte von A Perfect Circle ist etwas kompliziert, daher hier ein kurzer Abriss: Billy Howerdel, der Gitarrist und primäre Songwriter der Gruppe, arbeitete in den 90ern als Roadie und Techniker für Bands wie The Smashing Pumpkins, Nine Inch Nails und Tool. Nach einer Tour mit letzterer brauchte er eine neue Bleibe und kam kurzfristig bei Maynard James Keenan unter. Während dieser Zeit schrieb er an Songs für sein Solo-Projekt, das später A Perfect Circle werden sollte. Eigentlich hatte sich Howerdel eine weibliche Stimme für seine Band vorgestellt, aber Keenan überhörte ihn bei der Arbeit und bemerkte: “I could hear myself singing on this.”

1999 veröffentlichte die Band ihr Debütalbum “Mer de Noms”, das bis dato das erfolgreichste Debütalbum einer Rockband in den USA war. Howerdel und Keenan sind bis heute die einzigen konstanten Mitglieder der Band. Howerdel schreibt die Musik, Keenan die Lyrics. Passend zur US-Präsidentschaftswahl kündigt der ausgesprochene Bushgegner Keenan bei einem Gastauftritt auf dem Axis-of-Justice-Konzert von Serj Tankian und Tom Morello ein politisches Coveralbum an. Es wird “eMOTIVe” heißen und am Wahltag erscheinen. A Perfect Circle hatten sich bisher selten politisch geäußert, mit diesem Album zementierten sie aber ihre demokratische Anti-Apathie-Haltung.

“eMOTIVe” enthält 12 Tracks, davon sind 10 Cover klassischer Polit- und Antikriegssongs. Alle davon wurden für die Platte von Howerdel und Keenan radikal umgeschrieben, sodass einige davon mit den Originalen neben den Lyrics nicht mehr wirklich viel gemeinsam hatten. Ein eingefleischter John-Lennon-Fan mag gar behaupten, was A Perfect Circle aus “Imagine” gemacht haben, grenze an Blasphemie. Howerdel gab in einem Interview zu, er habe bis heute nie die Originalversion des Openers “Annihilation” von Crucifix gehört. Die Originale stammen von künstlerischen und persönlichen Idolen der Band. Marvin Gaye, Black Flag, Depeche Mode und Keenan’s Lieblingsband DEVO. Die beiden “Originale” des Albums sind “Passive” und “Counting Bodies Like Sheep To The Rhythm Of The War Drums”. Letzterer ist eine Fortsetzung des Songs “Pet” vom zweiten A-Perfect-Circle-Album “Thirteenth Step”. “Passive” ist ein Überbleibsel von Songwriting-Sessions für Trent Reznors unveröffentlichtes “Tapeworm”-Projekt.

So unterschiedlich wie die Originale sind auch die Stimmungen, die A Perfect Circle mit ihren Neuinterpretationen erzeugen. Von der verklärten Leichtigkeit eines “Imagine” bis zum bitteren Zynismus eines “Let’s Have A War” ist das ganze Emotionsspektrum abgedeckt. “eMOTIVe” ist ebenfalls das erste Album von A Perfect Circle, auf dem Billy Howerdel auch selbst Lead-Vocals beisteuerte. Seine gesanglichen Fähigkeiten erweiterte er später auf seinem Soloalbum “Keep Telling Myself It’s Alright”, welches er unter dem Namen ASHES dIVIDE veröffentlichte. Howerdel singt auf den Songs “Peace, Love and Understanding”, “People Are People”, “Freedom Of Choice”. Ein absolutes Highlight der Platte ist auch die A Capella Interpretation von Joni Mitchell’s “The Fiddle And The Drum”. Keenans säuselnder Gesang kristallisiert die Resignation der Lyrics wunderschön heraus.

Keenan betonte immer wieder, es handle sich nicht um ein “Anti-Bush-Album”. Stattdessen wolle er mit den Songs einen Denkprozess anstoßen:

"Look, clearly I'm supporting anyone but Bush in this upcoming election, but I'm not telling anyone who to vote for with this new album. I'm still just trying to encourage people to think for themselves. [...] We're speaking our minds. We're following our hearts."

Den Impact, den Keenan sich als expliziter Bushgegner wohl gewünscht hatte, konnte “eMOTIVe” nicht auslösen. George W. Bush wurde mit 53% der Stimmen im Electoral College wiedergewählt und intensivierte in den folgenden vier Jahren seiner Amtszeit den “War on Terror”, den “War on Drugs” und militärische Interventionen der USA im mittleren Osten. Die Konsequenzen seiner Reformen lassen sich heute noch im Rechtssystem erahnen. “Dank” Bush dürfen heute noch Polizist:innen Türen aufbrechen und Wohnungen stürmen, wenn eine Nachbar Marihuana gerochen haben will. Musik ist dann eben doch nicht der unnachgiebige Motivator, für den viele Künstler:innen sie halten.

“eMOTIVe” zeigt eindrucksvoll, wie weit man es damit treiben kann, sich eine Coverversion eines Songs zu eigen zu machen. A Perfect Circle nehmen einzelne Songs ihrer Idole, übersetzen sie in ihre eigene musikalische Sprache und stellen sie in einem Kontext zusammen, in dem jedem einzelnen der Songs eine neue Ebene angedichtet wird. Es ist diese Form musikalischer Aneignung, die “eMOTIVe” zu so einem großartigen Werk macht.