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Rauchen und „Gartenzwerge unter die Erde“: Klatsche

Rauchen haben den Punk auf seine quintessenziellen Wirkstoffe destilliert. Die entstandene Hardcore-Mixtur hat Punch, keine Frage, nur ist eine derartige Konzentration überhaupt noch genießbar?

Reeperbahn, nachts um halb eins. Das Konzert ist vorbei, der Kiez-Penny geschlossen. Und dann sieht man sie, jene Vorboten der Hölle in Peniskostümen und Deutschlandtrikots – Junggesellenabschiede. Marodierend zieht das Pack durch die Straßen, grölt Malle-Schlager und verbreitet Angst, Fremdscham und billige Klopfer. Der Anblick lässt selbst größte Pazifisten in wohligen Gewaltfantasien versinken.

Die Hamburger Formation Rauchen bietet den Soundtrack dazu: „Gartenzwerge unter die Erde“ ist eine auditive Amokfahrt durch die Menge panisch fliehender Freizeit-Assis, ein beherztes Eindreschen mit dem Baseballschläger auf verquere Spießigkeit und Deutschtümelei. Der Rundumschlag gegen Kartoffeligkeit und Patriachat geschieht in kurzen Episoden von ein- bis zweiminütiger Spielzeit (das komplette Album kommt in etwa auf die Länge eines handelsüblichen Tool-Songs), die von blind-wütenden Gitarrenparts und dem vernichtenden Geschrei ihrer Frontsängerin Nadine leben. Stilistische Unterschiede sucht man vergebens; allein das konkrete Ziel der allgegenwärtigen Klatsche variiert von Song zu Song. So sind es im großartig benannten „Schwengelstrand Nordostdeutschland“ männliche Freikörperkultur-Enthusiasten, im Titelsong „Gartenzwerge unter die Erde“, nun ja – Gartenzwerge, während hiesige Fußballanhänger in „Gorillas“ ihr Bierbauch-Fett wegbekommen. Die aufschlussreichen Titel sind auch insofern relevant, da sich die eigentlichen Inhalte hinter dem schwerverständlichen Gekreische oftmals nur unter Beinahme eines Textblatts nachvollziehen lassen.

Diese Komprimierung auf das Wesentliche, die Kürze der Songs und ihre mehr oder minder ernst gemeinten Namen bringen jedoch auch eine Gefahr mit sich: Das Gesamtwerk wirkt so allzu oft wie ein kurzweiliges Gimmick anstelle eines Albums. Hinzukommt, dass die Songtexte – hat man sie den mal entziffert – den Einfallsreichtum ihrer Titel häufig missen lassen, beziehungsweise ihn zugunsten einer intuitiven und direkteren Aussage opfern. So bleibt der Genuss der Platte letztendlich wie das Rauchen selbst: Dreckig und ungesund, aber eben auch nicht frei von einem gewissen Reiz.

Fazit

6
Wertung

„Gartenzwerge unter die Erde“ ist für alle, die Hardcore-Punk roh und ungeschminkt lieben; und für mich die Erkenntnis, dass ich ein bisschen Textverständlichkeit und ein paar sporadische Melodien hier und da doch gar nicht so schlecht finde. Als Soundtrack zum metaphorischen Junggesellenabschiede-Verkloppen taugt die Platte aber allemal.

Felix ten Thoren