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PUP - The dream is Over

Was tut man, wenn man als Sänger von seinem Arzt die Diagnose bekommt, seine Stimme nie wieder benutzen zu können? Sänger Stefan Babcock weiß die Antwort: Man nimmt eine Platte von so brachialer Gewalt auf, dass jeder Doktor der Welt vor Schreck sein Klemmbrett fallen lassen muss und nie wieder wagen würde, seinem Patienten auch nur irgendeinen Ratschlag zu geben.

Dabei beginnt „The Dream Is Over“ noch relativ verhalten. Fast schon süßlich säuselt Babcock über den Hass auf seine Tourcrew und drückt seine Mordfantasien aus während im Hintergrund gezupfte Gitarrennoten einen wunderbaren Kontrast malen. Dass dieser Ruhepol nicht lange halten wird, kündigt der Text schon mehr als deutlich an. Der Aufschrei, der dann aber nach exakt 52 Sekunden mitten im Takt aus den Boxen tönt, kommt trotzdem so dermaßen plötzlich und heftig, dass es völlig unmöglich ist, beim ersten Mal Hören nicht zusammenzuzucken. In diesem Moment stellt jeder Hörer fest, dass die Stimmbänder des Sängers zwar bestens zu funktionieren scheinen, die Hirnfunktionen aber dem Wahnsinn verfallen sein müssen. Was die Band in diesem ersten, nur etwas über zwei Minuten langen Opener abfeuert, ist so dermaßen irre, dass man sich fragt, aus welcher Anstalt PUP eigentlich geflohen sind. Das ist nicht nur gut. Das ist schlichtweg genial.

Was im ersten Song schon mit voller Wucht eingeführt wurde, setzt sich über den Verlauf der gesamten Platte fort: Wirbelnde Gitarrenriffs tragen die Songs wahnwitzig voran, als gäbe es kein Morgen mehr. Hyperaktiv zappelnde Schlagzeugbeats umrahmen das Geschehen wie ein Gerüst aus unzähligen kleinen Teilchen, die perfekt ineinander passen. Und Babcocks kreischender Gesang ist so dermaßen kraftvoll, dass er allein dadurch wie ein Mittelfinger gegen seinen Doktor zu verstehen ist.

Das Wechselspiel zwischen eingängigen Refrains, mitreißenden Gitarrensolos, ruhigen Zwischenspielen und dreckigem Punkgebrüll lässt die Musik nie still stehen, sorgt für einen stetigen Spannungsbogen und verleiht jedem der zehn Songs eine ganz persönliche Note. Der Sound des Quartetts aus Toronto blüht voller Leben, fantastischer Ideen und Spielfreude. PUPs Musik ist wie ein Tornado: Erst schlägt sie blitzartig ein, wirbelt alles auf – und am Ende ist nichts mehr, wie es einmal war. „The Dream Is Over“ mit einem Text wirklich prägnant zu beschreiben scheint unmöglich. Deswegen bleibt nur zu sagen: Wer Musiker liebt, denen sämtliche Zacken in der Krone zu fehlen scheinen, wer genug vom immer gleichen 08/15-Punk hat, wer Musik zum Feiern sucht, die trotzdem nicht stumpf ist, wer sich von großartigem Songwriting und fantastischem Sound mitreißen lassen will, all denen sei PUPs neues Album wärmstens ans Herz gelegt. Den Kanadiern ist hier nicht weniger als einer der spannendsten Releases 2016 gelungen. Diagnose: „Patienten am Leben. Zu 110 %.“