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The Prodigy und „No Tourists“: Und sie sahen, dass es gut war

Dass The Prodigy auch nach fast 30 Jahren Bandkarriere noch immer relevant sind, liegt vor allem an der erstaunlichen Flexibilität des Trios. „No Tourists“ ist allerdings das erste Album, auf dem diese Progression zu bröckeln beginnt.

Natürlich ist es nicht gerade eine faire Prämisse, wenn man einer Band schon ein einziges Album ankreidet, das im Diskographie-Kontext nicht isoliert zu betrachten ist. Aber das größte Problem von „No Tourists“ ist eben auf mehreren Ebenen etwas bitter. Die siebte Platte von The Prodigy klingt nicht nur wie eine konsequente Fortsetzung von „The Day Is My Enemy“ und krankt daher an Überraschungsmomenten, sondern bringt folgerichtig auch die Probleme mit, die der Vorgänger bereits mit sich brachte. „No Tourists“ macht Spaß, sucht aber oft zu sehr nach kalkulierter Eskalation aus schematischer Aufbau-Drop-Folge, weshalb das anfangs noch wirkungsvolle Effektgewitter eines „Need Some1“ schnell verfliegt.

Launig ausrasten kann man trotzdem auch mit einem „No Tourists“, und man muss weiterhin anerkennen, dass im breiten Massenmarkt der elektronischen Musik kaum ein Act so gnadenlos Songs mit Wiedererkennungswert schreibt wie The Prodigy. Der Titeltrack des Albums gehört mit seinem dramatischen Bond-Soundtrack-Opening zu den eindeutigen Highlights der Platte. Da ist es schade, dass der Song hintenraus doch wieder etwas in Standard-Muster verfällt. Auch „Fight Fire With Fire“ mit den aufstrebenden Noise-Rappern Ho99o9 erweist sich als gelungene Kollaboration, in der die Gäste aber lange nicht so individuell daherkommen wie auf ihren eigenen Veröffentlichungen. Singer-Songwriter Barns Courtney wirkt in „Give Me A Signal“ hingegen schwer entstellt und kann sich stilistisch überhaupt nicht durchsetzen. Sein Feature klingt auf dem Papier daher spannender als aus den Boxen.

Wie also muss man „No Tourists“ bewerten? Als martialischen Electro-Spaß, den eine Band aus den 90ern noch immer wirkungsvoll in Szene zu setzen weiß? Als Werk eines radikal denkenden Trios, das im Jahr 2018 langsam endlich seinen Stil gefunden hat? Oder als vorsichtiger Abgesang auf einstige Pioniere, die nach jahrelanger Genre-Prägung nun Lust haben, Musik für sich selbst und die eigenen Fans zu machen? Das finale Urteil zu „No Tourists“ liegt schlussendlich irgendwo in der Mitte zwischen künstlerischem Fortschritt und kraftvoller Inszenierung. The Prodigy lassen auch auf ihrem siebten Album keine Altersschwäche aufkommen. Aber von der Band, die einst mit „The Fat Of The Land“ eine ganze Generation geprägt hatte, muss man sich wohl langsam verabschieden.

Fazit

6.4
Wertung

Auf kommende The-Prodigy-Abrisse macht mir auch „No Tourists“ wieder Lust. Wenn ich aber echte Sternstunden dieser Band hören möchte, dann greife ich lieber zu „Invaders Must Die“ oder dem viel zu unterschätzten „Always Outnumbered, Never Outgunned“.

Jakob Uhlig