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Perfect Son und "Cast": Karsterscheinungen

Was zunächst beständig und in sich ruhend erscheinen mag, gibt plötzlich nach und legt ein metertiefes, profilloses Relief frei. In der Geologie spricht man von "Sinkholes", in der Musik von Überproduktion. Ein Vergleich zwischen Sedimenten und Tönen.

Eines haben das "Great Blue Hole" als touristisches Highlight vor der Küste Guatemalas und der gewaltige Erdrutsch im beschaulichen Schmalkladen (Thüringen) gemein: Ein geologisches Fundament ist nicht zwingend für die Ewigkeit gedacht. Die Reaktion der gelagerten Kalk-, Salz- und Gipsgesteine mit Wasser ist der Grund für jene Art von Naturphänomen – Wasser als Unheilbringer, eine sonderbare Ausgangssituation. Sieht man im Kontext des vorliegenden Albums "Cast" den Hörer als Anstoß für das Zusammenstürzen des Konstrukts, so wird es interessant: Bei genauerem Hinhören fallen Substanzschwächen stärker auf, als es zunächst den Anschein haben mag.

Dabei ist der Anschein, den "Reel Me" als verkapptes Intro vermittelt, durchaus imposant. Die Spannung baut sich Sekunde für Sekunde weiter auf, ehe sie sich mit dem ersten Paukenschlag krachend entlädt. Nachdem Tobiasz Biliński mit seinem Projekt nun die volle Aufmerksamkeit genießt, müssten Raffinesse und Freigeist die logische Konsequenz sein. Die Fackelträger, die die Flamme der Spannung weitertragen. Und tatsächlich mangelt es nicht an Ideen, vielmehr an ihrer jeweiligen Umsetzung. "My Body Wants" ist der kostspielige Transfer im Profifußball, der nicht in das bestehende Gefüge passen möchte und keinen Mehrwert zu erzielen vermag. Investition und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Das tonale Sättigungsgefühl macht sich auch auf "So Divine" schmerzlich bemerkbar. Der verkaterte Gang zur Kaffeemaschine, in Liedform. Während Panic! At The Disco derzeit medienwirksam durchstarten, wird dieser Erfolg wird mit dem Namensvetter von "High Hopes" nicht zu stemmen sein. Zu bieder, zu nichtssagend. "Almost Mine" bedient weiterhin das melancholiebedürftige Teenagerpublikum. Die Attribute "klaviergetragen" und "tragfähig" sind und bleiben zwei verschiedene Paar Schuhe.

Einige Lichtblicke dürfen dem Album fairerweise nicht streitig gemacht werden. "Old Desires" entpuppt sich nach wellenförmigem auf und ab zu einer Hymne, deren anfängliche Bedachtheit gerade richtig gewählt wurde. "Wax" punktet mit psychedelischen Vibes und einer gelungenen Melodieführung. "Lust" ist, trotz streitbarer Nähe zum Pop-Duo Hurts, gleichermaßen verwinkelt und harmonisch. Hat man sich den roten Faden herausgearbeitet, kommt die Überzeugungskraft von selbst. Hätte man "It's For Life" mit etwas mehr Bass versehen, würde die Midtempo-Nummer auch in EBM-Gefilden Anklang finden. So erinnert es jedoch eher an 80er-Pop der mittleren Güteklasse. Hier wäre mehr möglich gewesen.

Letzten Endes gehört "Cast" zu den bedrohten Topographien. Es bewegt sich zwischen den zuvor genannten Szenegrößen und einer Prise der modernen 30 Thirty Seconds To Mars – speziell letztere Anleihen sind nicht gerade ein Gütesiegel. Das Bodengutachten lautet: Ernstzunehmende Einsturzgefahr.

Fazit

4.5
Wertung

Die polnische Popszene läuft global gesehen unter dem Radar. Dies wird sich mit Perfect Son vorläufig nicht ändern

Marco Kampe