Reviews

Oomph! und „Ritual“: Alcatraz

Auf Dauer kann sich die eigene Gefängniszelle zu einem klaustrophobischen Erlebnis entwickeln. Die (zumeist von außen) auferlegte Eingrenzung verhindert dabei jegliche Art des Fortschritts und der Entfaltung. Dem Bandnamen Oomph! haftet traditionell eine Erwartungshaltung an, die für das dreißigste Jahr nach Gründung keinen Quantensprung vermuten lässt. Die Erwartungen wollen schließlich erfüllt sein.
Oomph Ritual Cover

Sieht man in diesem Kontext enttäuschte Fans und Kritiker der Band als Gefängniswärter, so können die Wolfsburger mehr als einen gescheiterten Fluchtversuch auf ihrem Konto verbuchen. Speziell „Des Wahnsinns fette Beute“ heimste im Jahre 2012 durchwachsene Bewertungen ein. Oder anders: Nur wenige Minuten nach Überwindung der Gefängnismauern heulten die Sirenen auf und postwendend fand man sich in der angestammten Zelle wieder. Das Credo: Ausbruchsversuche sind nicht zielführend! Umso erstaunlicher ist es, dass das anstehende „Ritual“ in den letzten Wochen nahezu überschwänglich beworben wurde. Die Fachpresse führt Attribute wie düster, heavy und riffgeladen an - vielversprechend für eine Institution der Neuen Deutschen Härte!

Und tatsächlich: Mit „Tausend Mann und ein Befehl“ als Opener wird vehement Staub aufgewirbelt. Die für NDH-Verhältnisse ausgeklügelte Songstruktur weiß zu überzeugen. Über die reißerische Darstellung des Sachverhalts mag man sich streiten können, Überspitzung und Großformat sind jedoch derart tief in diesem Genre verwurzelt, dass deren Präsenz wenig überraschend daherkommt. Und auch sonst bleiben die bahnbrechenden Überraschungen aus. Man befriedigt munter die eigene Fangemeinde, bietet aber auch einige Häppchen für die Anhängerschaft artverwandter Musiker. So versprüht „Lass die Beute frei“ einen ähnlichen Charme wie die „Jagdzeit“ aus dem Hause Megaherz, während „Im Namen des Vaters“ unvermeidlich Assoziationen zu Eisbrechers „Prototyp“ erweckt. Das Rad bleibt nun einmal rund. Es bleibt auch dann rund, wenn man krampfhaft die Strapazierfähigkeit des „Böse-Buben-Images“ testet. „Kein Liebeslied“ wird wohl niemals ein Lieblingslied werden.

Mit dem „Schweigen der Lämmer“ üben sich Oomph! in gewohnt (anti-)christlicher Metaphorik, die die Sakramente zielstrebig ad absurdum führt. Ein Song mit Wiedererkennungswert. Der Zusammenschluss mit den Gothic-Rockern um Lord Of The Lost fruchtet auf Anhieb. „Europa“ ist ein makaberer, beinahe wehmütiger Abgesang auf ein weltweit einzigartiges Friedensprojekt, dessen Existenzberechtigung im Wahljahr 2019 vielerorts angezweifelt wird. Chorale Gesänge untermalen eines der Highlights des vorliegenden Longplayers. Auf „TRRR - FCKN – HTLR“ wird der Versuch unternommen, zeitgeschichtlich aufgeladene Begriffe in möglichst primitiver Manier zusammenzufügen, um damit das Maximum an Provokation zu erzielen. Es bleibt bei einem Versuch. Gleiches gilt für „Seine Seele“ oder „Achtung! Achtung!“, die in vielerlei Hinsicht überschaubar sind – überschaubar in Kreativität, Raffinesse und letztlich auch in ihrer Qualität.

Die dominante Enge zwischen den (Genre-/Gefängnis-)Mauern erdrückt in der Gesamtbetrachtung weitergehenden Ambitionen abseits ausgetretener Pfade. Doch auch wenn ein Ausbruch mit Werk Nummer 13 nicht gelingen mag: Die Raumnutzung innerhalb der Mauern bleibt weitestgehend konkurrenzlos. Einige Konstanten sind in einer schnelllebigen Zeit vermutlich weniger schlecht, als es zunächst den Anschein hat.

Fazit

6.1
Wertung

Some killers, some fillers – so lässt sich „Ritual“ zusammenfassen. Guter Durchschnitt, der für einige Wochen auf dem Plattenteller rotieren wird und sich im Anschluss der heimischen Sammlung brav unterordnet.

Marco Kampe