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Noel Gallagher und "Who Built The Moon?": Fortschreiten

Noel Gallaghers große Klappe blieb im bewerbenden Prolog zu "Who Built The Moon?" erstaunlich ruhig. Scheinbar hat das ehemalige Oasis-Mitglied verstanden, dass es manchmal besser ist, die Musik sprechen zu lassen.

Vor einigen Wochen machte ein Video im Netz die Runde, wie das in einer vollständig social-mediatisierten Welt so oft der Fall ist. Gegenstand besagten Videos war aber kein neuster Meme-Hype, sondern ein sich um Trends herzlich wenig kümmernder Britpop-Veteran, ehemaliges Oasis-Mastermind und laut Meinung nicht weniger lebende Legende: „Noel Gallagher has someone who plays the scissors“. Und tatsächlich: Bei einem nicht näher definierten Auftritt des Briten zeigt das Video eine zierliche Frau, die im Takt mit einer Schere ins Mikrofon... schnippt. Den gut informierten Kenner britischer Rockmusik und insbesondere der Biographie Gallaghers lässt das fragend zurück, war Noel Zeit seines Lebens doch für Ohrwurm-Hymnen im Beatles-Gewand und deftigen Gibson-Gitarren durch Marshall-Verstärkertürme bekannt, aber kaum für klangliche Experimente, popmusikhistorisches Vorwärtsdenken oder generell Innovation. Und diese Beobachtung lässt sich, obwohl sein neues Album „Who Built The Moon“ wie zu erwarten nicht an seine Glanztaten in den 90ern herankommt, nun eindeutig dementieren.

Mit seinen ersten beiden Soloalben „Noel Gallaghers High Flying Birds“ und „Chasing Yesterday“ brachte er zwar einige interessante Neuerungen wie Big-Band-Einflüsse oder fortgeschritteneres Songwriting mit ein, die Quint-Essenz seiner Musik blieb jedoch die selbe. Das ändert sich nun grundlegend: „Who Built The Moon?“ lässt sich eindeutig nicht mehr als (Post-)Britpop einordnen, sondern schielt unübersehbar Richtung Psychedelic Rock. Statt gängiger Songstrukturen, zwei Rhythmusgitarren und einer entwaffnend eingängigen Gesangsmelodie zelebriert Noel hier zum ersten Mal das Experiment.

Bereits das eröffnende „Fort Knox“ schreitet mit fetten HipHop-Drums voran, ist Sample-lastig, bietet kräftige Soul-Chöre, orientalische Melodien und über die Hälfte des Songs ein durchgehendes Wecker-Klingeln, prominent im Mix verankert. Diesen Song hätte man von Pop-Erneuerer Kanye West erwartet, aber niemals von Rock-Konservatist Noel Gallagher. Zugegeben, auf voller Länge wirkt das Stück leicht repetitiv und soundtechnisch zu überladen, aber mehr ist manchmal eben mehr und das erfrischende Klangbild des Tracks macht das deutlich wett. Was für eine Art und Weise, ein Album zu eröffnen – besonders mit dem Namen Gallagher.

Die neu entdeckte Experimentierfreude in allen Ehren, hält „Holy Mountain“ leider nicht das angestoßene Niveau. Der Song bietet mit seinem breitbeinig Bläser-lastigem Rock’n‘Roll im modernen Gewand zwar einige interessante Ansätze, lässt jedoch eine funktionierende Gesangsmelodie vermissen und wirkt alles in allem sehr gewollt. Laut Gallagher ist die erste Vorabsingle jedoch einer seiner „liebsten Songs“, die er „je geschrieben hat“.

Das ganze Album folgt in seiner Soundästhetik mehr oder weniger dem gleichen Schema. Oft fiebrig und psychedelisch legt Gallagher dieses Mal weniger Wert auf die großen Hymnen als auf ausufernde Instrumental-Passagen und klangliche Experimente. „The Man Who Built The Moon“ klingt mit seinem rauschhaften Synthesizer wie der Ausflug in eine Welt des dystopischen, aber faszinierenden Chaos‘, „Keep On Reaching“ überzeugt als stampfender Blues und „If Love is The Law“ erzeugt mit seinen Glöckchen Weihnachtsstimmung. Generell verfügt „Who Built The Moon?“ über recht wenig Dynamik. Das muss allerdings nichts Schlechtes heißen, entsteht gerade dadurch doch der Eindruck, man würde durch dieses Album wie durch einen dichten Dschungel der Überraschungen wandern. Am Ende steht „End Credits (Wednesday Part“)“, wohl eines der ungewöhnlichsten Stücke, die Gallagher je geschrieben hat: Keine erkennbaren Songstrukturen, kein Gesang, repetitive, mysteriöse Licks und Klangmalereien. Und doch gleicht es in gewisser Art und Weise dem legendären „Morning Glory“-Closer „Champagne Supernova“.

Fernab aller Genre-Klischees seiner Altlasten zeigt sich Noel Gallagher mit „Who Built The Moon?“ auf der Höhe der Zeit: Fiebriger Psychedelic mit allerlei klangtechnischen Experimenten (Stichwort: Schere) und zwei Ohren für das Wesen der Musik ersetzen den, zugegeben grandiosen, Egomanen-Britpop der Vergangenheit. Sein drittes Soloalbum ist weder konservativ noch innovativ, sondern bringt überraschenderweise eine bisher selten gehörte Klangästhetik mit sich. Wie ein bunter, glühender Strudel fernab von Raum und Zeit präsentiert Gallagher ein Album, das faszinierend, aber merkwürdig von außen wirkt. Hat man sich jedoch erst einmal auf das rauschhafte Experiment eingelassen, lässt einen der Strom der klanglichen Ideen nicht mehr los.

Fazit

8
Wertung

Zum von den Medien herbeigedichteten Bruderkampf zwischen Noel und Liam lässt sich nur folgendes sagen: Wer dachte, Liam hätte mit einem soliden Britrock-Album mit moderner Produktion die Messlatte hoch gelegt, hat die Rechnung ohne Noel gemacht. In den Jahren der Twitter-Anfeindung durch seinen Bruder war er nämlich viel zu beschäftigt damit, Kunst zu machen.

Julius Krämer
6.7
Wertung

Noel Gallagher traut sich endlich, die Klammern seiner musikalischen Wurzeln zu zertreten. "Who Built The Moon?" inszeniert klanglich erfrischendes Kopfkino, das optisch zu glänzen vermag, in seiner Handlung aber trotzdem mit gelegentlichen Durststrecken zu kämpfen hat. Dennoch ist ein Sequel durchaus mit Spannung zu erwarten.

Jakob Uhlig