Muff Potter und „Colorado“: Mit der Energie vergangener Tage in ein neues Kapitel

Fast neun Jahre nach der offiziellen Auflösung im Dezember 2009 spielten Muff Potter auf dem Jamel rockt den Förster Festival ein vielbeachtetes Konzert in Vollbesetzung und gaben im gleichen Atemzug Ihre Re-Union auf der Bühne bekannt. Etwa zwei Monate später erscheint mit „Colorado“ über Grand Hotel van Cleef ein neues Werk der Band, welches am Ende aber gar nicht so neu ist wie von vielen erhofft.
Muff Potter Colorado Cover

Ohne Zweifel, die Rückkehr von Muff Potter schlug in der Musikwelt ein wie eine Bombe. Die Band verkündete, im Frühjahr 2019 auf eine sieben Shows umfassende Tour quer durch die Republik zu gehen. Mittlerweile wurden drei weitere Festival-Shows bestätigt.Doch damit der Freude nicht genug: Mit „Colorado“ veröffentlichen die Münsterländer noch im selben Jahr ein neues Album. Manchmal fällt eben doch die vielbesagte Kombination aus Weihnachten und Geburtstag für viele auf ein und denselben Tag.

In vielen Hinsichten hat sich seit der Auflösung im Jahr 2009 einiges verändert - gesellschaftlich, politisch und auch in der Musikszene. Es gibt bekanntlich auch im Jahr 2018 noch Entwicklungen, die den Punkbands des Landes nicht in den Kram passen und vor allem nicht passen sollten. Gespannt wurde in Fanzines und Blogs spekuliert, was Muff Potter nach all den Jahren zu diesen Themen zu sagen haben könnten und mit welchem Sound und welcher Message die Band sich zurückmelden würde. Schließlich hat Sänger Thorsten Nagelschmidt eine Vergangenheit in der Antifa und der inhaltliche Zündstoff wird dem Punk in der heutigen Zeit so schnell nicht ausgehen.

Aber: Des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid und umgekehrt. Entgegen der großen Hoffnung auf neue, frische Musik der schmerzlich vermissten Helden ist „Colorado“ ein Sammelsurium von Raritäten, B-Seiten und Coverversionen - Songs, welche es größtenteils nicht beziehungsweise nicht in dieser Form auf eines der neun veröffentlichten Alben geschafft hatten. Muff Potter nehmen Ihre Hörerschaft auf „Colorado“ mit auf eine Reise zurück in die Zeit ihres hauptsächlichen Schaffens in den Jahren 1993 bis 2009. Dabei sind aber nicht alle Songs gänzlich unbekannt. Der eine oder andere bekannte Titel wie „Alles war schön und nichts tat weh“ als Opener erscheint nun  in einem anderen Gewand, in diesem Beispiel als gelungene Akustikproduktion.

Die Tracks variieren in Sound, Sprache und sogar Qualität. Je nachdem, aus welcher Zeit der jeweilige Titel stammt, hat er seine ganz eigenen Merkmale und es schwingt das Flair der jeweiligen Zeit mit. Vor allem die älteren Songs sind herrlich verwaschen und punkig. Je neuer die Titel, desto rockiger und klarer produziert wirken diese. Ein so breites Spektrum an Variationen macht es fast unmöglich eindeutig zu definieren, wie oder wonach dieses Album eigentlich klingt. Die Titel spiegeln immerhin 16 Jahre Bandgeschichte wider. Der schnörkelloseste Versuch ist die Behauptung, es klinge eben nach Muff Potter, nach deutschem Punkrock mit besonders tiefgründigen Texten. Diese Merkmale hoben die Band bereits in den 90er Jahren von der großen Palette an deutschen Punkrockbands ab und bescherten den Jungs z.B. Ihren Tour-Support für Die Ärzte.

Bei einer Band wie Muff Potter sind über die Jahre einige Songs entstanden, welche der auf die Alben fixierten Hörerschaft oft verborgen blieben. Die Zeit der Band war noch nicht die von Spotify und Co., sodass es sich beim Hören schon so anfühlt, als würde man ein neues, unbekanntes Album aufgetischt bekommen. Jedoch lässt sich „Colorado“ aufgrund der genannten zeitlichen Unterschiede in der Entstehung der Titel nicht wie ein solches Album anhören und ist auch gleichzeitig kein Best-Of. Das hat zur Folge, dass einige der Titel besser, andere aber auch weniger gut sind und man vieles skippen wird, je nach eigenem Geschmack. Dieses Album ist aber im Ganzen nach all den Jahren der Abwesenheit ein Türöffner in die Vergangenheit und somit nicht nur für jeden Fan etwas ganz Wunderbares.

Die 25 zusammengetragenen Songs laden als Vorbereitung auf die Tour im Frühling und die Festivals im Sommer 2019 noch einmal dazu ein, in den guten alten Erinnerungen an Muff Potter zu schwelgen, dabei einige für viele bis hierhin unbekannte Titel kennenzulernen und dann mit richtig Bock auf ein Comeback der ganz großen Klasse die Konzerthallen des Landes zu stürmen. Die Zukunft steht Muff Potter auf jeden Fall offen. Die Ticketverkäufe beweisen, wie schmerzlich die Band vermisst wurde. Und wer weiß, vielleicht bringt die Zeit ja sogar noch ein neues Muff-Potter-Album. Dann auch so richtig.

Fazit

6.8
Wertung

Einige der extrem vielfältigen Songs muss ich leider einfach skippen, andere (z.B. „Weg mit dem“) haben sich bereits auf ewig in meinen Kopf gebrannt. Ohne „Colorado“ hätte ich diese Songs wahrscheinlich nie angehört geschweige denn von deren Existenz gewusst. Allein das ist es schon wert, dem Album Gehör zu schenken und sich von Muff Potter mit auf eine Reise in die Vergangenheit der Gruppe mitnehmen zu lassen. Mindestens einmal, ich persönlich aber eher öfter.

Mark Schneider