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Motörhead - March Ör Die

„Das Album bei dem alles schief ging.“ Der Versuch „mit Gewalt radiotaugliche Musik zu veröffentlichen.“ Mit „March Ör Die“ veröffentlichte die britische Metalband „Motörhead“ den Nachfolger zu „1916“.

 Es musste vielerorts harte Kritik einstecken. Dieses Jahr feiert die Platte ihr 25-jähriges Jubiläum, und die Hinterbliebenen betrauern den ersten Todestag von Sänger und Bassist Ian „Lemmy“ Kilmister. Eine Rückschau auf ein Album und einen außergewöhnlichen Menschen.

Die Aufnahmen zu „March Ör Die“ begannen äußerst schlecht, da Schlagzeuger Phil Taylor in den Augen von Kilmister nicht mehr gut genug wäre für die Band. So kam Mikkey Dee in die Band, der zuvor mit King Diamond auf Tour war. Mit ihm kamen neue Einflüsse, die von Kritikern als „Versuch ins Radio zu kommen“ interpretiert wurden. Bei genauerem Betrachten kann man das getrost als Schwachsinn bezeichnen. Beispielsweise ist der Opener „Stand“ natürlich leichtere Kost als so manche altbekannte Hits. Allerdings geht dieser Track bewusst zurück zu den Anfängen der verschiedenen Musiker in der Band. Ein schneller gespielter Blues Rock Rhythmus, der melodischere Gesang von Lemmy, alles zwar sanfter, aber eben mit System.

In „Bad Religion“ holen sie zum Rundumschlag gegen Religion an sich aus, wofür Kilmister scharfe Kritik einstecken musste. Er kommentierte seine Abneigung zu Gottheiten und Religionen lapidar mit: „Eine Jungfrau wird von einem Geist geschwängert? Come on! Piss off!“ „Bad Religion“ geht, wie die meisten Tracks auf dem Album, weg vom Speedmetal und setzte auf langsamere Riffs und verständliche Lyrics, was bei der prägnanten Aussage auch gut passt. Das stark verzerrte Solo rundet den dunklen, atheistischen Song perfekt ab. Bei den beiden bekanntesten Liedern der Platte hatte Kilmister Hilfe von außerhalb. „Hellraiser“ schrieb er zusammen mit Zakk Wylde und Ozzy Osbourne für dessen Album von 1991 „No More Tears“. Osbournes Version ist im allgemeinen populärer, allerdings geben Lemmys gutturaler Gesang und der Einsatz des Basses als Rhythmusgitarre eine Stimmung und akustisches Flair, das Osbourne und Wylde nicht erreichen können. Mit „I Ain't No Nice Guy“ findet sich etwas ungewöhnliches: Eine Ballade aus der Feder von Lemmy Kilmister. Er holt sich gesangliche Unterstützung von Ozzy Osbourne und für das Solo holt er Slash an Bord, seines Zeichens Gitarrist von Guns 'n' Roses. Hört man den Text des Liedes, könnte man meinen, dass es ein sehr ehrlicher, vielleicht sogar autobiographischer Text sein könnte. Dem ist aber keinesfalls so. Zumindest ist es nicht Lemmys Biographie. Der Song beginnt mit den Worten: „When I was young, I was the nicest guy“. Ein kurzer Blick in seine Biographie reicht um das zu entkräften. Schließlich flog er mit 15 Jahren ohne Abschluss von der Schule. Trotzdem bleibt dem Lied ein schöner, eingängiger Text und die Erkenntnis, dass sich die raue Stimme hervorragend für eine Ballade eignet. Dazu schaut euch dringend die Akustikversion zu diesem Lied an, die Kilmister zusammen mit Phil Campbell aufgenommen hat. Bei diesem Lied begann auch eine größere Misere. Die Plattenfirma WTG, bei der Motörhead unter Vertrag stand, ging Pleite. So wurde nicht nur das Album nicht großräumig beworben, die Band musste auch das Musikvideo zu „I Ain't No Nice Guy“ selber finanzieren, welches zu dem Zeitpunkt schon fertig im Kasten war. Allerdings erhielten sie die Freigabe von Sony Records, der Mutterfirma von WTG, und erhielten so überdurchschnittlich viel Airplay bei MTV, was für die Top 25 in Deutschland, Österreich und der Schweiz reichte.

Wenige Bands hatten so viel Einfluss auf die heutige Metalszene wie Motörhead. Keine Band war in so vielen Genres zu Hause wie Motörhead. Und kein Bassist hat die Musikgeschichte so geprägt wie es Kilmister getan hat. Auch dazu ein kleine Empfehlung: Ein kleiner Liveauftritt von Metallica und Lemmy. Heldenverehrung von einer der größten Metalbands aller Zeiten. Fast sein ganzes Leben lang gesoffen und geraucht und zwanzig Jahre lang die verschiedensten Drogen konsumiert. Kaum eine hat er nicht probiert. Doch die, die sein Leben vielleicht am stärksten beeinflusst hat, hat er nie angerührt. Heroin. Als sie 19 Jahre alt war, starb die Liebe seines Lebens, Susann Bennett, an einer Überdosis Heroin, was er nach eigener Aussage bis zum Ende nicht überwunden hatte. Er litt an Diabetes, Herzproblemen. Alkohol und Nikotin zerfraßen nachhaltig seinen siebzig Jahre alten Körper. Kurz vor seinem Tod fand man Tumore in Nacken und Kopf. Doch das alles konnte ihn nicht umbringen, es war Prostatakrebs, der ihn zum Schluss das Leben kostete. Es war der 28. Dezember 2015. Vier Tage nach seinem 70. Geburtstag. Vor fünf Tagen jährte sich sein Tod zum ersten Mal und der Schmerz bei den Fans sitzt immer noch tief. Und so erinnern wir uns gerne zurück an den Mann in Schwarz mit den Koteletten, die mit seinem Walrossbart verschmolzen. Der Mann mit dem schwarzen Hut, den engen Hosen und dem eisernen Kreuz um den Hals. Den Mann mit den zwei Fibromen auf der linken Backe. Ja, das sind keine Warzen, die nennt man Fibrome. R.I.P. Ian „Lemmy“ Kilmister.