Marilyn Manson und "We Are Chaos": Bist du noch schockiert?

Früher noch Schock-Ikone, nun nur noch ein Schatten seiner Selbst: Sowas hört man in den letzten Jahren immer wieder über Marilyn Manson. Nun erscheint sein elftes Studio-Album. Ist das Erscheinungsdatum, der elfte September, schon das Schockierendste oder was kann man von „We Are Chaos“ erwarten?

Mit Alben wie „Antichrist Superstar“ oder „Mechanical Animals“ forderte Marilyn Manson in den 90ern unser Verständnis des Möglichen in der Musik heraus und wurde zum Schock-Rocker Nummer 1.  Groteske Bühnenshows, das Zerreißen von Bibeln und düstere Lyrics förderten einen öffentlichen Diskurs und veränderten die Musikwelt für immer. In den letzten Jahren stand Marilyn Manson allerdings wegen eher durchwachsenen Alben (das 2014 erschienene „The Pale Emperor“ mal ausgenommen), komisch schlechten Live-Auftritten und sogar wegen des Vorwurfes des (sexuellen) Missbrauchs in der Öffentlichkeit.
Manson lässt sich allerdings nicht verunsichern und schafft mit „We Are Chaos“ eine Platte, welche diverser als viele seiner bisherigen Alben ist. Denn Eines zieht sich durch seine Karriere: Das Schlüpfen in immer wieder neue Rollen.

In „Antichrist Superstar“ machte Manson eine Verwandlung, ganz im Sinne von Nietzsche, vom ‚Wurm-Jungen‘ zum Übermenschen durch. In „Mechanical Animals“ schlüpft er in das Kostüm des androgynen Aliens „Omēga“, welches unsere Geschlechterrollen und unseren Wert in einer Konsum- und Promi-Geilen-Gesellschaft in Frage stellt. Spätere Alben beleuchten Faschismus oder die Unterhaltungsindustrie. In „The Pale Emperor“ lässt Manson sein Schocker-Image hinter sich und gibt sich als gealterter Regent. Die Parallelen zu David Bowie und seinen Kunstfiguren wie „Ziggy Stardust“ oder dem „Thin White Duke“ liegen auf der Hand und so ist es nicht verwunderlich, dass viele der Tracks auf „We Are Chaos“ stark von Bowie inspiriert zu sein scheinen.

Denn wer den Opener „Red Black And Blue“ hört und auf ein Industrial-Rock-Album wie „Holy Wood“ hofft, wird von den meisten anderen Tracks des Albums enttäuscht sein. Viele Stücke machen Gebrauch von exzessivem Klavier und Akustikgitarren, was einen folkigen, glamrockigen Flair mit Einflüssen aus dem Country und dessen Chord-Progression besitzt. Die Single „We Are Chaos“ wird in diesem Stil sogar in hymnische Ebenen gehoben. Das wird sicherlich vielen Fans der frühen Alben missfallen. Wer allerdings offen bleibt, hört ein gut produziertes Album, welches zwar häufig simpel im Songwriting ist und immer wieder schon fast kitschig wirkt, aber dennoch Argumente für sich hat.

„We Are Chaos“ kombiniert auf 10 Songs härtere Nummern wie „Red Black And Blue“, „Perfume“ oder „Keep My Head Together“ mit softeren Balladen wie „Broken Needle“. So ganz kommen die Songs individuell nicht an frühere Werke und auch in seiner Gänze wirkt es weniger geschlossen als die ersten fünf Studioalben. Dennoch kann man den mittlerweile 51-Jährigen noch nicht abschreiben.

Fazit

6.6
Wertung

Marilyn Manson hat über die Jahrzehnte immer mehr an Schnitt verloren und dennoch nie verlernt, wie man Songs schreibt und seine einzigartige Ästhetik rüberbringt. Wer ein hartes Industrial-Album erwartet, wird enttäuscht sein, wer sich offen gibt, wird das Album mehrere Male hören können und sich an dessen Vielfalt erfreuen.

Niels Baumgarten