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Mandolin Orange und „Tides Of A Teardrop“: Zwei Künstler, ein Konzept

Dem modernen Menschen ist es ein Anliegen, der Entfremdung von Umwelt und Natur Einhalt zu gebieten. Handelsgüter sollen nach Möglichkeit naturbelassen, ursprünglich und nachhaltig sein. Einzig: Die Halbwertszeit solcher Versprechungen ist häufig gering.

Dass die grasende Milchkuh nicht etwa lila ist und Legehennen nur in Ausnahmefällen freudig auf der Wiese umhergackern, ist gemeinhin bekannt. Und doch: Die entsprechenden Marketingtricks sind erfolgreich. Verheißungsvolle Verpackungen bieten Absolution für das nicht abschaltbare, quälende Gewissen. Man muss schon eine Weile suchen, um sie zu finden: Ehrliche Produkte, die ein gutes Gefühl vermitteln und ohne zweifelhaften Etikettenschwindel auskommen.

Wird man bei Lebensmitteln nicht fündig, so lohnt sich ein Blick in die hiesige Indie-Szene. Mandoline Orange machen in dieser Hinsicht eine gute Figur. Das Folk-Duo aus North Carolina musiziert seit nunmehr 10 Jahren und veröffentlicht nun mit „Tides Of A Teardrop“ das bereits sechste Studiowerk. Nachdem man sich in der Vergangenheit den Klängen amerikanischer Ureinwohner gewidmet hatte, schwingt auf dem neuen Machwerk eine gehörige Portion Folk-Pop mit. „Golden Embers“ bildet den Einstieg in rundum behagliche dreiviertel Stunde. Die güldene Glut lässt sich tonal erspüren, es breitet sich eine tiefgreifende Gelassenheit aus. Auf „Late September“ machen Mandolin Orange ihrem Namen alle Ehre. Die Mandoline, ein ebenso historisches, wie auch unterrepräsentiertes Handwerkszeug, ist quicklebendig und kann einem Song Klangfarben mit starkem Wiedererkennungswert verleihen. Wer nun denkt, man habe sich final auf dem menschlichen Ruhepuls eingependelt, der irrt. Das (mutmaßlich) mit Samthandschuhen aufgenommene „Mother Deer“ drängt sich für den gediegenen Abend an der Hotelbar nahezu auf. „When She´s Feeling Blue“ schaltet von hier ausgehend einen weiteren Gang herunter. Im Dunstkreis zwischen Meditation und Hypnose entfaltet die Farbe Blau ebenjene Wirkung, die ihr in der Psychologie zugesprochen wird: Harmonie, Sympathie, Gelassenheit.

Jenen Effekten steht „Like You Used To“ gegenüber. Mit wesentlich mehr Drive sorgt es für eine de handverlesenen und wohlüberlegt platzierten Überraschungen. Auf „The Wolves“ komplettieren verspielte E-Gitarrentöne das ansonsten weitestgehend akustische Klanggewand. Bombast und Effektreichtum sind weder vorhanden noch notwendig. Generell bemerkt man fortlaufend das investierte Herzblut - eine Leidenschaft, die bei so vielen Produkten der kommerziellen Musikindustrie schmerzlich abhandengekommen ist. Hin und wieder umweht das Projekt gar ein Hauch der sagenumwobenen Joan Baez. Dies wird besonders auf Stücken wie „Suspended In Heaven“ und „Lonely All The Time“ deutlich. Country-affiner, mehrstimmiger Gesang und ein trabender Rhythmus, der dem Hufschlag eines ausmergelten Maultiers in der Prärie gleichkommt. Zahlenmäßig sind es zwar nur zehn Songs, dafür lässt sich jeder von ihnen die Zeit, die er braucht. Keine Hast und keine Eile.

Im Wesentlichen enthält „Tides Of A Teardrop“ vieles von dem, was Kritiker an den derzeitigen Kreationen von Mumford & Sons vermissen. Träumerische Arrangements und wohlige Geborgenheit, die den hektischen Alltag auf Albumlänge verbannen. Und falls jene Ruhepause zu knapp bemessen sein sollte, hier ein brandheißer Tipp: Auch bei wiederholtem Genuss büßt das Album nicht an Attraktivität ein.

Fazit

7
Wertung

Es handelt sich nicht um Klänge, die mich auf Anhieb mitreißen. Vielmehr sind es jene Klänge, ab dem dritten Durchlauf richtig Spaß machen und somit Nachhaltigkeit verheißen. Handgemachte Musik mit Gütesiegel.

Marco Kampe