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Lygo und "Lygophobie": Angsttherapie

Punkrock kommt selten ohne stumpfe Plattitüden aus. Lygo zeigen auch auf "Lygophobie", dass sie textlich viel mehr zu bieten haben als Parolen und überzeugen nicht nur mit wuchtigem Punkrock sondern auch mit brillanten Lyrics.

Es ist leider immer häufiger so, dass Bands während der Promo kreativer und innovativer sind als beim Songwritingprozess. Mehr Mut für ausgefallene Aktionen, als für neuen Spirit in der Musik. Doch anders bei Lygo. Statt sich auf irgendeinem Erfolgsmodell auszuruhen, probieren sie sich weiter aus und sorgen für eine Menge neuer Impulse und es gibt so manches erstes Mal. Man möge bei „13 Stunden Schlaf“ beispielsweise seinen Ohren nicht trauen, aber der Song wird mit einem Piano eröffnet. Und es passt so hervorragend, denn der unerträglich gewordene Weltschmerz, den der Text thematisiert, verträgt in diesem Fall keine sich überschlagenden Stimmen und nur eine begrenzte BPM-Zahl.

Eine weitere wunderbare Idee findet sich auf dem Mid-Tempo-Track „Kommentarspalte“. Allein der Begriff Midtempo ist im Zusammenhang mit Lygo schwer fassbar, aber das ist nicht das besondere, denn der Song ist eine Sammlung von YouTube-Kommentaren von Menschen mit Schlafstörung. Das nächste Novum ist weniger groß, aber dennoch erwähnenswert, denn in „Ufer“ findet erstmals ein Gitarrensolo in einen Lygo-Track. Doch es sind nicht nur die Neuerungen, die dieses Album so stark machen, es sind die Texte und die Botschaften.

Das Plädoyer für das Weinen in „Kein Fahrtwind“ räumt auf mit der toxischen Annahme, dass Weinen ein Zeichen von Schwäche ist, dass man sich fürs Weinen schämen müsste und das aus den Kehlen dieser Männer zu hören ist wahrer Balsam für die Seele. Doch es ist so viel Platz für Glück und Hoffnung, denn Lygo haben zwei Manifeste der Angst verfasst. Da wäre zum einen das unendlich schwere „Altersheim“. Ein Memento Mori, aber voller Resignation, denn egal was passiert, ob uns nun die Klimakatastrophe auslöscht oder wir im Alter sterben, am Ende bleibt nichts mehr. Nach dem Tod kommt das Vergessen, so wie ein zweiter Tod. Und wäre das nicht düster genug, kommt mit „Feuerzeug“ noch ein Fanal der Angst. Nicht nur in Anspielungen an Oury Jalloh, die Angst vor Polizeigewalt gerät ähnlich stark außer Kontrolle wie die Polizeigewalt an sich.

Der Albumtitel passt perfekt, beim ersten Hinsehen, beim näheren noch besser. „Lygophobie“ ist nicht die Angst vor der Band, sondern die übersteigerte Angst vor Dunkelheit. Und doch richten Lygo die Scheinwerfer direkt auf die Probleme, die wir gerne im Dunkeln lassen würden. Probleme, vor denen wir Angst haben. Diese Scheinwerfer sind sensationell aufgestellt, denn sie tun weh, legen Finger in die Wunden. Wenn das musikalisch nicht so gut umgesetzt wäre, könnte man in Frage stellen, warum man das Album hören soll, denn es bedeutet nicht weniger als sich Ängsten zu stellen.

Fazit

8.2
Wertung

Lygo zeigen wie vielseitig sie sein können, probieren neues und brillieren textlich. Wiedermal.

Moritz Zelkowicz
7.2
Wertung

"Lygophobie" ist schnell, energetisch, euphorisch, bissig und wütend. Kurzum: Alles, was man sich von dieser Band wünscht und erwartet. Aber eben auch nicht mehr.

Kai Weingärtner