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Lost Avenue und „Fears“: Unvergleichbar vergleichbar

Nordirland kann Punk! Lost Avenue bringen uns mit ihrem Debütalbum „Fears“ Punk mit, wie er 2018 klingen sollte. Wenn da nicht dieses verflixte Ding namens Abwechslung wäre…

Gute Vorsätze hat jeder. Man will sich selbst optimieren und sucht dabei nach Inspiration. „Dass was der macht, mache ich auch so, aber besser.“ So kann man sich auch beim Musizieren inspirieren. Man nehme etwas von der einen Band und ein wenig von der anderen, aber eben nur das Beste. Das klappt nur leider viel zu selten. Umso überraschender ist es, wenn Bands scheinbar zufällig von dieser Herangehensweise Gebrauch machen. Besonders beeindruckend schaffen das Lost Avenue aus Derry in Nordirland, denn sie haben sich einfach das Beste von zwei Giganten der Szene herausgesucht: The Offspring und Anti-Flag. Zwar handelt es sich um das gleiche Genre, aber auch um komplett unterschiedliche Interpretationen davon. Wie bringt man das zusammen? The Offspring haben meistens eine sehr leichte und unbekümmerte Art des Punks praktiziert, oftmals richtiggehend verspielt. Anti-Flag hingegen waren zumeist recht ernst und haben eine härtere Gangart gespielt, ohne in die Hardcore-Schiene abzudriften.

Nun nehme man die Leichtigkeit Offsprings und die Härte von Anti-Flag (inklusive des Gesangs von Chris # 2, statt von Justin Sane) und man erhält Lost Avenue. Die drei Nordiren spielen in der klassischen Formation: Drummer, Gitarrist, der auch den Gesang übernimmt, und Bassist mit Background Vocals. Kleiner Unterschied zur Durschnitts-Punkband: Der Bass nimmt in den meisten Stücken den Part der Leadgitarre ein. Auch diese Spielweise erinnert an eine andere Band. So liegt die Basslinie in manchen Songs leicht neben der richtigen Tonlage, was dem Sound diese an Itchy erinnernde Unbekümmertheit verleiht. Diese ganzen Elemente und dieser Stil sind an sich eigentlich großes Kino. Eigentlich.

Denn obwohl das sofort in Ohr und Beine geht, bleibt es nach dem Hören nicht lange präsent, denn dieser Platte fehlt Abwechslung. Es ist als würde man sechs Mal am Stück den gleichen Song hören, was auf einer 10-Song-Platte nicht gerade sehr vorteilhaft ist. Aber machen wir uns nichts vor, das wäre auch auf einer längeren Platte ziemlich fatal. So hört man vom Titeltrack „Fears“ bis zu „Self Esteem“ im Grunde dasselbe Lied: mal schneller, mal noch schneller, mal lauter und mal viel viel lauter. Und um die Gemüter schnell wieder zu beruhigen, es handelt sich nicht um ein Cover des Offspring-Klassikers.

Dann kommt die Platte aber plötzlich doch zurück. Der passende Titel „Reinvent Yourself“ klingt schnell und rotzig und gibt der Platte diese nötige Prise Unreife, die sie dringend benötigt. Doch keine zwei Minuten später ist dieses Spektakel schon wieder beendet. Was folgt, scheint zum neuen Naturgesetz zu werden, oder warum ist auf jedem Album von mehr oder weniger jungen Punkbands mittlerweile ein Akustik-Track drauf? Aber immerhin mündet dieser Song in der letzten halben Minute in ein Punk-Gewitter, zwar zu einem der ziemlich langsamen Sorte - aber immerhin haben sie den Akustikstiefel nicht komplett durchgezogen. Ungehorsam gegenüber der eigenen Szene! Ungeheuerlich.

Doch damit nicht genug gibt es in „Homesick“ nochmal richtig auf die Fresse. Dieses Inferno geht stark in Richtung Hardcore-Punk, ein wenig als würde man „Das ist doch kein Name für 'ne Band“ und „Jugend mutiert“ von KMPFSPRT in ein einziges Lied packen. „The Start Of The Show“ lässt das Album dann mit seiner ruhigeren Gangart regelrecht entspannt ausklingen.

Man könnte meinen, Lost Avenue sind sich ihres starken Stils bewusst, allerdings wissen sie ihn noch nicht wirklich einzusetzen. Ihn lediglich auf Repeat laufen zu lassen, sollte definitiv nicht das Mittel der Wahl sein. Zum Schluss kriegen sie die Kurve noch und lassen definitiv hoffen, dass der Nachfolger die passende Symbiose liefern wird.

Fazit

6.8
Wertung

Der großartige Stil lässt sich nicht leugnen, nur an der Präsentation muss dringend gearbeitet werden. Der Weg ist das Ziel und der ist schon sehr stark.

Moritz Zelkowicz