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Reviews

Liebe Frau Gesangsverein und „Nackt“: Punkrock mit Herz und Verstand

Im männerdominierten Genre war das geradezu überfällig: Liebe Frau Gesangsverein präsentieren ihr vielversprechendes Debüt und spielen druckvollen Punkrock mit Frauenstimme.

Das wurde aber auch Zeit! Der deutschsprachige Punkrock mit all seinen Spielarten floriert seit Jahren und erfreut die treue Anhängerschaft stetig mit vielversprechenden Nachwuchs-Talenten. Die musikalische Bandbreite ist hierbei enorm und nahezu alle Gelüste, von Pop- bis hin zu Hardcore-Einflüssen, werden fachgerecht befriedigt. Den einzigen Wermutstropfen stellt die männliche Überrepräsentation im weiten Genre dar. Nach weiblichen Vollblutmusikerinnen sucht man sich zwischen Love A, Pascow, Marathonmann und Konsorten schier verrückt, von Frauen am Mikro ganz zu schweigen. Ob es hierfür tatsächlich triftige Gründe gibt, muss wohl an anderer Stelle diskutiert werden – feststeht, dass das Geschlecht keinesfalls ein Prädiktor für gute Musik ist.

Liebe Frau Gesangsverein spielen schon im Bandnamen mit der Umkehr von Stereotypen und verwandeln den respektablen Herrn Gesangsverein kurzerhand in eine Frau. Man stolpert unwillkürlich über die Umwandlung der altbekannten Redensart, genauso wie über Ricarda Giefers klaren Gesang – das wohl markanteste Alleinstellungsmerkmal der Punkrocker. Mit der radiotauglichen Nummer „Es tut mir leid“ wählen Liebe Frau Gesangsverein einen eher soften Einstieg in ihr Debüt-Werk. Das krachende Schlagzeug und das rockige Gitarrensolo stehen hier noch im Kontrast zu Giefers melodisch zartem Gesang. Im Verlauf der Platte entwickelt sich dieser jedoch schnell weiter und schon im darauffolgenden Titel „Erfunden“ klingt sie wilder, dynamischer und variabler, ohne dabei in pathetisches Gekeife zu verfallen. Durchweg kann sie durch ihren bemerkenswerten Ausdruck, irgendwo zwischen Melancholie, Zynismus und Wut, und die besonders deutliche Artikulation der Texte bestechen. So lauscht man entweder schmunzelnd oder doch heimlich ertappt den gesponnenen Geschichten, die wunderbar klug und reich an Metaphern und Wortwitz erzählt werden. Von (Hass-)Liebe, schmerzlichen Trennungen, der tiefsitzenden Unzufriedenheit mit der Welt und von der Ambivalenz der Gefühle und des eigenen Seins singt Giefer so authentisch, dass jede Menge Emotionalität und Verletzlichkeit hinter dem bissigen Zynismus hervorblitzen.

Die zweite Single-Auskopplung „Hier sein ist so schwer“ gehört zu den Höhepunkten der Platte und klingt durch die konsequente Moll-Stimmung ständig wütend und resigniert zugleich. Das Schlagzeug wirkt als treibende Kraft und erzeugt mithilfe von Bass und Gitarre, die gekonnt Akzente setzen, einen druckvollen Sound, der nach einer Mischung aus Indie-Pop, Punk und NDW klingt.

Als besonders hörenswert stellen sich schnelle Songs wie „Schwarzes Brett“ und „Rückwärts verliebt“ heraus, in denen gern rauere Töne angeschlagen und wildere Klänge produziert werden und durchaus Parallelen zu Pascow entdeckt werden können. Ruhigere Titel wie „Watt“ erzeugen zwar starke Schnipo-Schranke-Assoziationen, klingen jedoch vergleichsweise schwach und mildern den starken Gesamteindruck des Albums eher ab.

Doch Liebe Frau Gesangsverein sollten weder auf Vergleiche mit soundverwandten Bands, noch auf ihre Frau am Mikrofon reduziert werden. Sie bewegen sich selbstbewusst im vielbespielten Genre und erschaffen ein gelungenes Erstlingswerk, das vor allem mit musikalischen und inhaltlichen Ambivalenzen, wütender Verletzlichkeit, wortgewandten Intellekt und bissigen Sound überzeugt.

Fazit

7.1
Wertung

Liebe Frau Gesangsverein gebührt nicht nur wegen ihres grandiosen Bandnamens Ehre:  Laut, wütend, kapitulierend, berührend, witzig, authentisch und vor allem klug bereichern sie mit ihrem Debüt „Nackt“ die Punk-Rock-Szene. Bitte mehr davon!

Sarah Ebert