Léonie Pernet und „Crave“: Suche im Nebel

Léonie Pernet tänzelt durch ein Delirium, aus dem man sich nur schwer lösen kann.

Man kann nicht so wirklich begreifen, wieso Léonie Pernet den Opener ihres neuen Albums „African Melancholia“ getauft hat, denn von klassisch-afrikanischen Assoziationen ist die Französin mit ihren dichter-düsten Elektronik-Klangkunstwerken so weit entfernt wie es nur irgendwie möglich erscheint. Auf den zweiten Blick wird klar: So richtig viel zu begreifen gibt es in dieser Titel-Musik-Relation vielleicht gar nicht, denn Pernets Musik ist angesichts bodenständigerer Erfahrungen aus dem Alltagsleben wohl nur die Abstraktion unserer irdischen Welt. In der knappen Stunde von „Crave“ taucht die Künstlerin in eine obskur wabernde Dimension aus psychedelisch-künstlichen Sounds ein, die einen zwischenzeitlich so gefangen nimmt, dass sich ihre einzelnen Elemente kaum noch differenziert betrachten lassen.

Dabei hat „Crave“ inmitten seiner unwirklichen Monotonie viele spannende Elemente versteckt, die Pernets Werk tatsächlich auch zu einer diversen Platte machen. Besagter Opener verzerrt die Stimme der Sängerin zum Beispiel so, als sänge sie unter Wasser, was zu einem sehr surrealen Klangerlebnis führt. „Nancy“ platziert innerhalb seines scharfen Beats epische Massen-Chöre, die eine martialische Schlacht ankündigen, welche schließlich in einem sanften Fade-Out von der Bildfläche verschwindet. „Two Of Us“ verkörpert einen feuchten Jazz-Traum über galanten Akkorden und einem fast zur Unkenntlichkeit verzerrten Saxophon, das plötzlich in tausend anderen Farben zu schillern scheint, als es die Wirklichkeit zu vermitteln mag.

„Crave“ birgt in seiner lasziven Sinnlichkeit die Gefahr, die psychedelische Dimension so einnehmend werden zu lassen, dass man Pernets kluge Finessen beim Songwriting kaum wahrnehmen kann. Der Künstlerin selbst kann man dafür keinen Vorwurf machen, im Gegenteil: Die zwölf Songs dieses Werks zeichnen sich gerade durch ihre unscheinbare Verlorenheit aus. Und das ist gut so.

Fazit

6.8
Wertung

„Crave“ ist die akustische Verkörperung einer traumreichen Nacht: Erst nach dem Aufwachen realisiert man, was da gerade passiert ist.

Jakob Uhlig