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„Lang lebe der Tod“ hadert mit sich selbst – Zwischen Ausbruch und Trauer

Casper hat mit „Hinterland“, „XOXO“ und „Hin zur Sonne“ eine Art Trilogie erschaffen. Der Nachfolger ist alles andere als der vierte Teil.

Die Vorgeschichte des Albums könnte spannender kaum sein. Dazu gibt es hier eine kurze Anekdote des Autors: Beim Kosmonaut-Festival 2016 war Casper bekanntlich der Headliner am Freitag. Dort wollte er eigentlich sein neues Album für den 23. September 2016 ankündigen. Leider machte ihn dabei eine Zeitschrift den Strich durch die Rechnung. Am frühen Morgen kam auf deren Seite nämlich schon die Nachricht zum Album. Casper reagierte. Er verteilte gratis T-Shirts an tausende Fans mit dem offiziellen Datum des Releases darauf. Blöd nur, dass kurz vor dem Termin Casper selbst mit dem Album noch nicht zufrieden war. Es wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Touren sollten eigentlich nichts davon zu spüren bekommen. Bei der „Club-Tour“ gab es dann schon einige neue Songs zu hören. Die große Hallen-Tour sollte schon mit der neuen Show präsentiert werden, doch das Album war noch nicht fertig. Jetzt erschien am 01.September endlich „Lang lebe der Tod“.

Mit dieser tragischen Geschichte für Fans, aber auch für Benjamin Griffey selbst, so Caspers bürgerlicher Name, war die Spannung besonders groß. Man kannte schon einige Songs vom Album. „Lang lebe der Tod“, „Sirenen“ und „Keine Angst“ wurden mit einem Video preisgegeben. Ein Manko gibt es aber schon vorher. Das Album hat nur elf Tracks, wobei einer davon der Prolog von „Sirenen“ ist. Was sehr wenig erscheint, wird mit dem Hören aber sehr viel. Die Vergänglichkeit der Platte ist dennoch sehr groß. Die ersten 20 Minuten verfliegen wie im Flug. Das liegt aber einfach daran, dass die Songs gut abgehen. Die Parts von Casper sind zudem relativ kurz, wodurch der Refrain immer gut aufgebaut wird. Es gibt hier nicht die typischen 16er mit der Hook. Ein klassisches Rap-Album liegt mit „Lang lebe der Tod“ definitiv nicht vor.

Dass die Platte aber nicht mehr „Hinterland“ ist, beweist spätestens der Track „Morgellon“. Es ist vieles unglaublich voll, der Sound krallt einen, kann aber auch abstoßen. Es ist vieles elektronischer als noch bei den vorhergehenden Langspielern. Eins kann man bis hierhin schon sagen: Casper entwickelt sich und seine Musik weiter. Das aber anscheinend auch, was Studio-Arbeit angeht. Wenn man sich die Songs genau anhört, merkt man erst, wie viel Arbeit darin steckt. Im Diffus-Interview packte Casper aus, dass er bis zu 200 Tonspuren gleichzeitig verwendet. Manche Rapper benutzen fünf, nur zum Vergleich. Es gibt viele besondere Merkmale, die beim oberflächlichen Hören kaum auffallen, den Klang aber ausmachen. Während „Sirenen“ schon fast in den Dark-Dubstep geht, so ist „Meine Kündigung“ eine wunderschöne Ballade, die mit sehr wenig Hintergrundmusik lebt.

Cas benutzt aber nicht nur Instrumente verstärkt. Die Direktheit nimmt zu. Der Mut wächst. Beim Song „Lass sie gehen“ mit Ahzumjot und Portugal. The Man gibt es die Zeile „Will die scheiß Nazis gar nicht sehen“. Diese Aggressivität hätte es früher wohl nie gegeben. Das Album bildet allgemein einen Kompressor für Wunden und Narben. Was mit Wut und Hass gelöst werden kann, nimmt genauso gut Formen der Angst und der Trauer an. Es gibt eigentlich nur einen roten Faden: das Leben. Es gibt keinen Text, der sich um Fiktives dreht. Jeder Song hat sein Statement, was der Platte etwas den Albumcharakter nimmt. Dafür ist es aber an der Struktur her wieder sehr gut gelöst. Während die ersten Songs alles sehr laute Titel sind, so wird es am Ende „hyperpersönlich“ (Zitat: Benjamin Griffey, Diffus). „Deborah“ ist ein Song über Depressionen, der die Düsternis sehr gut mit Schatten umhüllt. Mit einem sehr langsamen Rhythmus und ohne viel Kraft in der Stimme hört man hier wirklich gute Metaphern.

Das Album ist wahrscheinlich dennoch da, um Menschen und Meinungen zu spalten, aber auch zusammenzubringen. Lässt man sich auf dieses Experiment ein, so wird man manches vielleicht doch mit einem anderen Auge sehen. Es gibt beim Album Momente, in denen man unendlich ausrasten kann, dennoch sind aber auch wieder tiefenmelancholische Songs drauf. Nicht leicht ist zu sagen, wie das Album bei der breiten Masse ankommt, aber für Fans von Casper sind definitiv einige neue Lieblingsstücke drauf. Wer Casper vorher nicht mochte, sollte doch mal reinhören. Empfehlung: „Lass sie gehen“ und „Wo die wilden Maden graben“. Ist eigentlich jemandem aufgefallen, dass der Song bei der Tour schon als „Schwarz ist das neue Schwarz“ / „Velroll“ gespielt wurde?

Fazit

7.9
Wertung

Casper hat mit seinem Album definitiv ein Brett veröffentlicht. Es ist manchmal nicht leicht, alles zu verstehen. „Lang lebe der Tod“ ist kein Album für Zwischendurch. Dafür ist es einfach zu gewaltig in seiner Aussage. Die vier Jahre, die man nach „Hinterland“ gewartet hat, haben sich gelohnt! Ich habe nur eine Frage an Cas: Wo ist „Lordlevel“? 

Ole Lange
6.5
Wertung

Textlich und stimmlich stark wie immer, musikalisch teils gewöhnungsbedürftig. Dennoch gibt es einige richtig gute Tracks und es bleibt Cas.

Johannes Kley
9
Wertung

Unzählige, unüberhörbare Referenzen zu Kanye Wests „Yeezus“ bis hin zu gitarrenlastigen Post-Rock-Parts und Punk-Geschrammel: Casper präsentiert sich als Musiknerd und Vermittler verschiedenster Genres. Dunkle, vielschichtige Texte und großartige Instrumentals von aberwitziger Diversität schaffen ein unfassbares Album von einem der spannendsten Künstler des Landes, das mit einigem bricht und noch mehr vereint. Der oft dominierende Grime/Dubstep klingt stark, ist aber leider nicht mehr am Puls der Zeit – wäre LLDT ein paar Jahre früher herausgekommen, hätte es einen Platz in den wichtigsten deutschsprachigen Alben aller Zeiten inne.

Julius Krämer