Reviews

Kontrolle und „Zwei“: Kapitalistischer Realismus

Die Frage: Wie macht man Musik in einer Welt, in der sogar Kunst bloß eine Ware ist? Die Antwort von Kontrolle: Wütend sein und sich so wenig wie möglich vermarkten (lassen).

Schon die Spotify-Biografie liest sich wie eine Pflichtübung: Sätze wie „KONTROLLE bewegen sich zwischen Wut und Finsternis bzw. Tanzbarkeit und Lethargie und zeigen dabei ein gutes Gespür für Spannungsbögen“ klingen eher nach Referatsfeedback in der neunten Klasse als nach dem Versuch, Neugier zu erregen. Wollen die denn gar nicht gehört werden? Wenn man sich den öffentlichen Auftritt der Band ansieht, bekommt man schnell den Eindruck, dass dem tatsächlich so ist.

Kontrolle wollen vor allem ihre Wut auf die Welt, die Verhältnisse und alles andere ablassen. Ob dann jemand den unspektakulär „Zwei“ genannten Tonträger hört, scheint zweitrangig. Auch das das erste Album hieß schon „Egal“ und war ähnlich angepisst. Neben der Haltung hat sich auch musikalisch nicht viel geändert: auf der Grundlage von Andrews mechanischen Drumming und Carstens Lo-Fi-Synths sowie flirrenden Gitarren sprechsingt Bassist Daniel von den Abgründen im spätkapitalistischen Alltag.

Der geneigte Punk denkt dabei an Pisse aus Hoyerswerda, der geneigte Alt-Punk erinnert sich an DAF und seine verschwendete Jugend. Immer wieder spürt man auch den Einfluss von Abwärts, eine „Badeanstalt“ gibt es in deutschen Songtexten wahrscheinlich nur im „Computerstaat“ oder eben bei Kontrolle. Andere Referenzen werden subversiv unterlaufen: Wenn Daniel im Titelsong „Zwei“ singt „Der Traum ist aus“, dann nicht voller Revolutionspathos wie bei Ton Steine Scherben. Bei Kontrolle gibt es kein Pathos – und an die Revolution glaubt niemand mehr. Auch für die schmachtende Romantik von The Cure ist kein Platz: „Freitag we’re in love“ am Arsch – am Ende der Woche ist man froh um die Pause von der Arbeit. Wann soll da noch Zeit für die Liebe bleiben?

Der tanzbare Kassenzettel „Warentrenner“ ist quasi die Fortsetzung von „Baumarkt“, dem Hit der ersten Platte. Auch hier bekommt die schöne warenförmige Fassade immer größere Risse, bis sie schließlich völlig einstürzt. In Spoken-Word-Manier erzählt Daniel vom Internet, das einst als weltweiter „Zugang zu Informationen“ gedacht war und heute hauptsächlich die Heimstatt von Fake-Welten ist, bevölkert von Influencer:innen und Schwurbler:innen. Die bekommen mit „Aluminium“ sogar noch einen zweiten Song gewidmet. Der letzte Track „Karg“ handelt ebenso von der industriellen Landwirtschaft, die gleichförmige Lebensmittel erzeugt, wie von der industrialisierten Gesellschaft, die gleichförmige Lebewesen hervorbringt.

Mark Fisher, ein englischer Blogger, beschrieb 2009 einen „kapitalistischen Realismus“, der alle Lebensbereiche durchdringt und es unmöglich macht, sich eine andere Gesellschaftsordnung auch nur vorzustellen. Kontrolle spielen den Soundtrack dazu.

Fazit

7.4
Wertung

Harte Kost aus grauer Städte Mauern. Im Plattenregal guten Gewissens zwischen Abwärts und Pisse einzuordnen.

Steffen Schindler