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Kind Kaputt und „Zerfall“: Die besten Absichten vermeiden Fehler nicht

Zwischen Verstecken und Aufmucken, vom Erwachsenwerden und erwachsen gemacht werden - Kind Kaputt erzählen auf ihrem ersten Album „Zerfall“ die Geschichte eines Heranwachsenden und setzen ihn den Stürmen und Drängen ihres hymnenhaften und krachenden Posthardcore aus.
Kind Kaputt Zerfall Cover

„Zerfall“ trifft den Zeitgeist-Nagel auf den Kopf. Kind Kaputt präsentieren ein Album, welches durch zwei markante Punkte besonders besticht. Auf „Zerfall“ wächst die Band ein großes Stück weiter in ihren eigenen Sound hinein und wirkt insgesamt reifer. Die durchdachten Kompositionen, die von lindernder Salbe für blutige Knie über schallende Chöre für missende Herzen bis hin zu brachialen Wutausbrüchen über tiefgreifende Unstimmigkeiten wirklich alles bereithalten, begleiten klug geschriebene Texte. „Zerfall“ ist ein Konzeptalbum, auf welchem die Entwicklungen eines jungen Heranwachsenden facettenreich betrachtet werden. Dabei wird eine Hörerschaft angesprochen, die sich wie die drei Bandmitglieder vermutlich gerade zwischen 18 und 28 befindet und der eigentlich alle Tore offenstehen – aber „alle“ sind dem ein oder anderen eben schlichtweg zu viele. Und wenn einem die Entscheidung abgenommen werden soll, ist das ein Beschnitt der eigenen Freiheit und fühlt sich auch verkehrt an.

Kind Kaputt fordern im mühsamen Adoleszenz-Prozess eine Rechtfertigung für gewolltes oder forciertes Verbiegen der jungen Menschen ein und geben sich mit allem, was auch nur dezent nach Fremdzwang mieft, in keiner Weise zufrieden. Dabei wachsen sie selbst in ihrem Sound und in ihren Texten hörbar aus den Kinderschuhen heraus. Aber gutes Schuhwerk ist wahrlich nicht die Lösung für Kind Kaputts Probleme. Wie diese schlussendlich aussehen soll, wissen die drei jungen Herren auch nicht so genau. Dennoch fühlt man sich als Hörer permanent subtil dazu aufgefordert, irgendetwas besser oder anders zu machen. Was „Zerfall“ definitiv erreicht, ist ein stetigeres Selbstbeleuchten in sehr, sehr kritischem Licht.

Musikalisch lassen sich Kind Kaputt sehr schnell im spannenden Feld des erstarkenden deutschen Post-Hardcore verorten. Schnelle Wechsel von Lautstärke und Tempo und ein Hin und Her zwischen Säuseln und Schreien machen „Zerfall“ zu einer packenden Platte. Dabei weicht das Trio auch mal von erwarteten Rhythmen und Riffs ab und beweist nicht nur eloquenten Einfallsreichtum. Besonders das markante und abwechslungsreiche Drumming wird dem ein oder anderen in lebhafter Erinnerung bleiben, trägt es doch einen großen Teil zu der aufplusternden Energetik von „Zerfall“ bei.

Die Reise des lyrischen Protagonisten durch die 12 durchdacht konzipierten und komponierten Songs vermittelten Gefühlswelten eines jungen Erwachsenen im Dschungel der Möglichkeiten und wird mehr als hautnah an den Hörer herangetragen. Sie wird vielmehr stellenweise mit Hammer und Meißel unter dessen Haut tätowiert, nur um die wunden Stellen anschließend sanft zu streicheln. Aber wann war dieses Leben denn je eindeutig? Der Wunsch zur Flucht, die Resignation über die Vergeblichkeit jedes Rennens, aber auch Verdrängung und Angst sind nur einige der vielen Emotionen, die „Zerfall“ zu einer gefühlsweltlichen Abrissbirne machen. Eine Achterbahnfahrt, die jedoch so typisch ist für die Generation Y, die nicht weiß wer sie ist, was sie will oder wohin sie soll. Die Generation, an die gleichzeitig so hohe Erwartungen gestellt wird, auf die eingeredet wird, von der etwas gewollt wird, an der gezerrt und auf die geschimpft wird. Kind Kaputt schimpfen zurück, in einem aufgebrachten Versuch zu retten, was zu retten ist – allerdings mit Bedacht und Anflügen von Weitsicht.

Fazit

7.3
Wertung

Ungebrochen jung und wild wagen Kind Kaputt den Drahtseilakt zwischen Storytelling und musikalischer Wucht und das gelingt ihnen ausgesprochen gut. Die Texte bewegen sich auf enorm hohem Niveau, das meines Erachtens dem frühen Mathias Bloech das Wasser reichen kann, ohne bloßes Abkupfern zu sein. Und die Musik wird live sicher richtig fett tanzbare Schwingungen erzeugen.

Merten Mederacke