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Kid Dad und The Deadnotes: Über erste Male, Selbermachen und den Luxus des Ausprobierens

The Deadnotes und Kid Dad tourten zusammen 8000 Kilometer und mehr durch Europa. Im Interview offenbaren sie, wie unterschiedlich man als Band arbeiten kann und dass man dennoch zum Ziel kommt und wie viele Gedanken hinter ihren neuen Singles stecken.
Kid Dad Deadnotes Münster

Es ist Samstagabend in Münster und es regnet, während sich Darius (Gitarre und Gesang bei The Deadnotes) und Marius (Gitarre und Gesang bei Kid Dad) im Punkrock-gemütlichen Backstage des Gleis 22 Zeit für ein ausführliches Gespräch nehmen, das von dem ersten und sechsten Mal sowie von neuen Singles und Pfaden handelt . Kid Dad gibt es erst seit 2016, The Deadnotes bereits seit 2011. Dabei sind die Mitglieder beider Bands erst Anfang/Mitte zwanzig. Trotz des jungen Alters haben Kid Dad bereits Shows mit unter anderem Razz und den Blackout Problems gespielt. The Deadnotes teilten sich die Bühne ebenfalls schon mit bekannten Größen wie Itchy, Boston Manor oder Kmpfsprt. Die Show in Münster ist die erste auf deutschem Boden seit einer Weile. Beide Bands waren bis gestern gemeinsam auf knapp 8000 Kilometer langer Tour durch das Vereinigte Königreich, Skandinavien und die Niederlande. Beide Frontmänner verraten, wie sie den Trip erlebten. „In England zu spielen ist immer richtig schwierig“, erzählt Darius, „das ist was ganz anderes als hier. Es gibt so viele gute Bands und an jeder Ecke Livemusik. Da ist es schwer, Fuß zu fassen.“ Für The Deadnotes war das bereits die sechste UK-Tour, für Kid Dad jedoch eine Premiere. „Das war das erste Mal, dass wir außerhalb Deutschlands gespielt haben“, berichtet Marius aufgeregt, „und wir wurden eigentlich auch gut angenommen.“ Das erste Mal die Songs auf Englisch anzukündigen ist ungewohnt. „Ich stammele auf jeden Fall mehr, wenn ich auf Englisch Ansagen mache“, sagt Marius lachend, „auch wenn ich das im Kopf ständig tue. Wenn man sich nichts vorformuliert, wird das teilweise sehr lustig. Aber es fühlt sich richtiger an, als auf Deutsch.“
Aber weil es so viele Bands in England gibt, wird leider sehr wenig Wert auf sie gelegt. „Es gibt grundsätzlich nie Essen in England. Gagen, Bezahlung, Spritgeld, Schlafplätze - auch das ist viel schwieriger als hier“, erklärt Darius. „Außerdem hast du Line-Ups von Minimum vier Bands und dann spielt jede Band straight eine halbe Stunde.“ In Skandinavien ist das wiederum aus anderen Gründen manchmal schwierig. „Die Leute brauchen schon eine Motivation, um an einem Sonntagabend aus der Vorstadt in die Stadt zu fahren und auf ein Konzert zu gehen. Aber wir hatten immer Leute da, die nicht selbst in den Bands oder die Veranstalter waren und wenn du an so einem Abend zum Beispiel einen Papa mit seinem Sohn glücklich machst, ist das doch mega krass!“, resümiert Marius das erste Mal touren außer Landes.

Kennengelernt haben sich die beiden Bands durch Daniel Schewior, ihren gemeinsamen Manager. „Und dann haben uns The Deadnotes mal zu einer Hometown-Show nach Freiburg eingeladen“, erinnert sich Marius. „Wir wussten gar nicht so recht, was wir da sollten. Die Jungs hatten zu dem Zeitpunkt schon über 400 Konzerte gespielt und uns gab es seit eineinhalb Jahren!“ Darius lacht und ergänzt: „Und wir dachten uns, was ist das denn, die gibt es seit eineinhalb Jahren und die liefern genauso ab wie wir!“

Abgeliefert haben auch beide Bands kürzlich zwei Singles. Kid Dad veröffentlichten in den letzten Monaten „The Wish Of Being Alone“ und „Naked Creatures“ mit passenden Videos und The Deadnotes bescherten ihren Fans mit „Cling To You“ und „Makeup“ ebenfalls zwei frische Songs inklusive Videomaterial. Marius und Darius geben Einblicke in die Art des Songwritings und wie sie einen solchen Single-Release angehen. Marius verrät: „Wir schreiben viele Songs aber kicken auch 50% davon wieder, weil wir wissen, wo wir hinwollen oder worauf wir gar keinen Bock haben. ,The Wish of Being Alone' haben wir zum Beispiel eine Zeit lang in eine Schublade gepackt und irgendwann wieder ausgegraben und der Song hat sich dadurch komplett verändert - der war mal richtig schnell und laut. Eigentlich nehmen wir immer nur den Song auf, der uns grade am meisten taugt. Deshalb gibt es auch keine groß durchdachte Reihenfolge.“ Die vier Jungspunde nehmen sich die Arbeitsweise der großen Ikonen zum Vorbild: „Sonic Highways“ von den Foo Fighters wurde auf ganz besondere Arten und Weisen aufgenommen. Jeder Song in einem anderen Studio, mit anderen Instrumenten, anderer Stimmung in einer neuen Umgebung. „Genau das wollen wir auch. Wir wollen uns zu jedem Song einschließen und ganz neue Gedanken machen und eine eigene Klangwelt schaffen“, offenbart Marius. „Uns wird schnell langweilig, wir wollen viel ausprobieren und ein Album so divers wie möglich machen.“ Bei The Deadnotes sieht das nach acht Jahren Bandgeschichte offenbar anders aus. „Wir sind generell eher schreibfaul und schreiben nur Songs, wenn wir müssen, also was releasen wollen“, kommentiert Darius. „Aber wenn wir schreiben, sind wir absolut fokussiert auf das, was wir für das Allerbeste halten. Wir haben noch nie einen fertigen Song gekickt, weil wir, schon wenn uns ein Part nicht gefällt, daran nicht weiter arbeiten können. Und wenn wir ins Studio gehen, dann mit zehn Songs und die kommen alle auf die Platte.“ Wenn die Jungs keine Geschichten auf Lager und nichts zu erzählen haben, dann sind sie eben still. Daran ist nichts verkehrt, das ist ganz im Gegenteil sogar eher löblich. Bei den beiden letzten Singleauskopplungen „Cling To You“ und „Makeup“ hatte die Band aber definitiv etwas zu melden. Beide entstanden in wenigen Sessions nachdem der große Tourzyklus zum Debütalbum „I'll Kiss All Fears Out Of Your Face“ und der Single „1.20“ abgeschlossen war. „Nachdem wir die Songs geschrieben hatten, haben wir sie abgehakt und erst ein Dreivierteljahr später aufgenommen“, berichtet Darius über die Entstehung. Beide Bands gehen das Songwriting eher entspannt an. Marius träumt davon, sich einen Monat im Studio einschließen, das Beste vom Besten auszusuchen und dann noch Musikvideos dazu drehen zu können. Aber es scheitert, wie so vieles, am Finanziellen. „Wir versuchen uns das Album mit den Singles zu verdienen“, führt Marius aus und Darius ergänzt: „Wir haben auch einfach keinen Bock uns unter Druck zu setzen und zu sagen 'Das Album muss kommen!', egal wie gut es ist. Das ist Quatsch. Es muss vor allem gut werden. Sich die Zeit zu nehmen und Singles rauszubringen ist was Gutes!“

Inhaltlich singt Darius in den Texten erstmalig nicht nur aus der Ich-Perspektive über seine Probleme oder die des lyrischen Ichs. „Ich möchte einen weiter gefächerten Blick. Es passiert so viel gesellschaftlich und politisch und auch wenn wir nie im Leben eine politische Band sind, setzen wir uns doch mit dem auseinander, was uns umgibt“, gibt er Einblick in das kürzliche Schaffen. „Im Video ist das sehr flach dargestellt, aber es geht nicht nur um Schönheitsideale und Optik, sondern auch um die Auseinandersetzung mit dem Druck von außen hinsichtlich der Selbstakzeptanz. Das ist eine Herausforderung, wenn da so viel sozialer Druck herrscht, so und so zu sein oder bestimmten Idealen zu entsprechen.“ Um den neuesten Modetrend müssen sich „Naked Creatures“ dagegen keinerlei Gedanken machen. „In dem Song geht’s darum, dass jemand Macht über dich hat. Du stehst unter der Kontrolle von jemandem und dieser jemand nutzt das schamlos aus. Als säßest du in einer Falle und der Fänger schleicht um den Käfig und lacht dich aus oder verspottet dich“, erläutert Marius. Insbesondere den Faktor der Permanenz der Oppression möchte er in dem Song betonen. „Der Grundtenor ist ein möglich langanhaltendes 'Ich-hab-dich-in-der-Hand'-Gefühl an dem der, der über dir steht, sich immer wieder aufgeilt“, ergänzt er. Der Song ist aus der Perspektive des Ohnmächtigen geschrieben. Das dezente „Do it“ im Refrain ist der verzweifelte Erlösungsschrei des Opfers. „Die Strophen sind eher intim gehalten und beschreiben die Gesamtsituation und im Chorus geht es darum, es nicht mehr auszuhalten, der Hilfeschrei nach Erlösung, der aber auch sofort wieder durch das Näherkommen des Unterdrückers erstickt wird“, kontrastiert Marius. Das Gefühl von Ohnmacht und der Unfähigkeit, irgendetwas tun zu können, um ein Unrecht zu bekämpfen, sind wohl zwei der unangenehmsten Gefühle, die ein Individuum verspüren kann. Insbesondere wenn man in Räume mit entsprechender Grundstimmung gerät, ohne die Ursache exakt ausmachen zu können.

Veröffentlicht wurde „Naked Creatures“, wie auch „The Wish Of Being Alone“ über das Hanoveraner Label Long Branch Records. Dort sind unter anderem auch Bands wie Razz, Annisokay, The Intersphere oder The Hirsch Effekt beheimatet. Ein bunter Mix also, mit dem Kid Dad da turteln. The Deadnotes haben dahingegen kürzlich ihr eigenes Label 22 Live Records gegründet. Entstanden ist die Idee in einem Studio in Leeds. „Der Schritt, ein eigenes Label zu gründen hat sich logisch angefühlt nach 22 Jahren Quatsch machen als Musiker“, rekapituliert Darius. In acht Jahren Bandgeschichte hat das Trio einiges erlebt, viele hundert Konzerte gespielt und sich nun auch hinsichtlich zukünftiger Veröffentlichungen selbstständig zu machen, schafft den nötigen Raum für den Freigeist der Freiburger. Denn wer sein eigenes Label hat, behält die Rechte an seiner Musik. Dafür haben größere, etablierte Labels mehr finanzielle Mittel. „Wirklich gegeneinander aufwiegen kann man das nicht“, meint Darius. „Bei unserem Label ist ja auch das Grand Hotel van Cleef involviert. Die stellen uns ihr Know-How, vertriebliche Möglichkeiten und den Zugang zu ihrer Promo-Agentur zur Verfügung.“

The Deadnotes und Kid Dad zeigen, wie unterschiedlich man arbeiten kann und dass man dennoch zum Ziel kommt. Dieses Ziel ist jedoch genauso individuell, wie die Musik der jeweiligen Kapelle. Ob Album, Headliner-Tour, Support-Tour, neue Aufnahmemöglichkeiten – die Liste ist lang. „2019 ist das verrückteste Jahr, das wir bisher hatten“, resümiert Darius. Und das nach acht Jahren Bandbestehen sagen zu können, ist doch sehr vielversprechend!