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I Prevail und „Trauma“: Könnte, könnte, Fahrradkette?

Rap und Pop in Verbindung mit Metal beziehungsweise Metalcore wird im Allgemeinen noch als Ausgeburt von Kommerzialisierung und damit verbundenem Ausverkauf verstanden. Doch was, wenn die Kombination Metalcore, Rap und Pop gerade von vornherein der Markenkern einer Band ist? I Prevail stellen sich mit „Trauma“ ihren Kritikern und den Kritikern der Szene.
I Prevail Trauma Cover

Der Aufstieg von I Prevail verlief so unglaublich schnell, dass man überhaupt nicht mitkam. Nach der Erfolgssingle „Scars“ war die Band plötzlich auf Tour, als Support Szenegrößen wie We Came As Romans dabei. Doch wie so oft stellt sich die Frage: Was tun auf Album Zwei? Mehr Metalcore? Mehr Rap? Mehr Pop? Oder alles wie bisher? I Prevail zeigen sich im Endresultat mutig und nicht mutig zugleich, denn sie haben sich für weniger Metalcore entschieden und für mehr von allem anderen. Damit werden sie bei einem nicht unerheblichen Teil ihrer Fanbase auf Widerspruch stoßen, doch auch ein neues Publikum ansprechen, was für die Metalcore-Szene eigentlich nicht schlecht sein kann. Denn besagtes Genre ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Albums, manchmal mehr und manchmal nur sehr wenig.

Herausnehmen kann man die Negativbeispiele „Every Time You Leave“ und „Rise Above“. Auch wenn es absolut vermessen ist „Every Time You Leave“ einen schlechten Song zu nennen, denn das ist er nicht wirklich, so ist er auf dem Album mehr ein Fremdkörper, der sich dem komplizierten musikalischen Muster von „Trauma“ entzieht. Er wirkt, als wäre er von Chester Bennington und Chad Kroeger geschrieben, aber von Kroeger und Avril Lavigne umgesetzt worden. Der Text passt wiederum sehr gut in die Platte. Das zentrale Thema sind psychische Probleme und die damit einhergehenden Schwierigkeiten. „Breaking Down“ fängt so die Gefühlslage eines Depressiven erschreckend treffend ein, gepaart mit einem daraus resultierenden Minderwertigkeitskomplex. Der Track ist auch ein absolutes Highlight auf „Trauma“. Er arbeitet mit einer recht harten Trennung aus geshouteten Parts und straight gerappten Passagen. Die innere Stimme des Protagonisten bildet dabei immer den drastischen und wahnsinnig effektvollen Break zwischen beiden Welten. Der Chorus ist wiederum eine sehr gelungene Fusion. Auch mit der Erwartungshaltung der Hörerschaft wird etwas gespielt, erwartet man am Anfang einen gewohnt harten Breakdown, so wird man erstmal vertröstet und der Rap-Part beginnt. „Breaking Down“ ist in ausnahmslos jeder Hinsicht überragend inszeniert und stellt eines, wenn nicht das musikalische Highlight des bisherigen Jahres dar.

I Prevail machen da weiter, woran sich mit dem Crossover einst ein ganzes Genre abgearbeitet hatte. Jedoch gehen I Prevail einen anderen Weg, denn sie gehen mit der Zeit, wie es bisher noch nicht oft gemacht wurde und schon gar nicht in dieser Konsequenz. Man nehme Limp Bizkit als Beispiel. Der immer recht harte, aber rhythmische Beat, auf den Fred Durst dann nach seinem Ermessen und in seinem Stil gerappt hat, war in vielerlei Hinsicht stilprägend gewesen. So hatten es die meisten gemacht, denn, und da kommen dann wieder I Prevail ins Spiel, das war zu dem Zeitpunkt angesagt. Doch die große Zeit von Limp Bizkit, P.O.D. und Co. ist ziemlich vorbei, der Zeitgeist ist weitergezogen. Doch I Prevail kombinieren zwei Genres, die derzeit über ihre bisherigen Zuhörer hinaus erfolgreich sind. Zum einen den schier omnipräsenten Rap und den Metalcore, der zurzeit mit Bands wie Parkway Drive oder ähnlichen in aller Munde und überall zu sehen und hören ist.

Natürlich kommen da Kritiker, die auch nach Ausverkauf brüllen. Besonders in Hinblick auf die rasend schnell wachsende Szene der Screamo-Rapper wie XXXTentacion, Scarlxrd oder Ghostemane. Auch dieses Sub-Genre hat den Metalcore gefühlt schon links liegen gelassen, zumindest, wenn man Klickzahlen auf Spotify und Soundcloud glauben kann. Ein Zug, auf den man schnell aufspringen kann. Das wiederum lässt vermuten, dass die Zukunft wohl eher den screamenden Rappern gehört als den screamenden Metallern. Jedoch ist diese Kritik per se Quatsch, denn I Prevail haben ihren Stil schon zu Beginn der Bandgeschichte gefestigt. Und doch nimt die Band unfreiwillig eine unglaublich wichtige Rolle ein, denn dadurch, dass sie ihr Ohr direkt am Puls der Zeit hat, schafft sie es, eine neue Zielgruppe recht breit gefächert anzusprechen. Attila haben diesen Weg schon länger eingeschlagen, haben aber den richtigen Zwischenweg nicht gefunden und trotz vieler Electro- und Rapeinflüsse mit ihrer extrem harten Schiene auch viele abgeschreckt. So wie es Bring Me The Horizon die letzten Jahre über getan haben, bringen I Prevail aber einen neuen Sound in den Rap und nicht nur in den Metalcore – auch, wenn das für den Fan der anderen Seite erst mal schwer nachzuvollziehen sein mag. Wer sich am Rap in den Songs erfreuen kann und sie weiter hört, kann dann in den Metalparts auch etwas finden, was einen anspricht und den musikalischen Horizont erweitert.

Auch, wenn ein eingefleischter Rap-Fan damit nichts anfangen kann und ein Metalcore-Fan der ersten Stunde wahrscheinlich die Stirn runzeln wird, so wird einem die neue Musik der jeweils anderen Seite nähergebracht. Vielleicht ist es dann auch ganz gut, wenn als Komplementärstück zum brachialen „Deadweight“ das süßlich Pop-Rockige „Every Time You Leave“ zu finden ist. Denn die perfekte Balance haben I Prevail auf „Trauma“ noch nicht hunderprozentig gefunden. Zwar sind die Mehrzahl der Songs eine spannende und wirklich starke Mischung aus modernem Rap und modernem Metalcore und für jeden etwas sanft geratenen Track gibt es einen brutalen, doch dass diese Fusion nicht noch öfter in der Trackliste zu finden ist, stellt ein kleines Manko dar. Jedoch ist das Meckern auf sehr hohem Niveau. „Trauma“ ist nicht nur musikalisch großartig, es geht mit seinen Texten in die Untiefen der Seele und blickt in die tiefsten menschlichen Abgründe. Das Storytelling dabei ist beeindruckend, wenn auch beklemmend. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass die Band noch relativ jung ist, das sprengt dann schon so manchen Kopf.

„New Wave Crossover“ – mit der Bezeichnung New Wave kann man es sich bei der Kategorisierung natürlich sehr einfach machen, aber sie trifft deswegen nicht weniger zu. „Trauma“ versucht, von möglichst vielen gesehen zu werden und hat mit seiner Andersartigkeit manch einem Crossover-Vertreter einiges voraus. Während im Crossover auf Seiten der Metal-Fraktion meistens versucht wurde, den Rap dann doch eher klein zu halten, versuchen I Prevail genau das Gegenteil und trauen sich etwas. Das kann man kritisch sehen, oder aber den Jungs hoch anrechnen.

Fazit

8.5
Wertung

Ich lehne mich weit aus dem Fenster, aber auch nur, weil ich absolut überzeugt bin. I Prevail könnten mit „Trauma“ einen Denkanstoß in eine ganz andere Richtung gesendet haben. Dieses Album kann Brücken zwischen den Genregrenzen bauen. Aber immer wieder dieser blöde Konjunktiv: könnte, könnte, könnte...

Moritz Zelkowicz