Holygram und „Modern Cults“: Die Zukunft war gestern

Krautiger NDW-Post-Punk scheint 2018 im Trend zu liegen – mit dem Unterschied, dass Holygram ihre Klangwelten noch wesentlich epochaler der Kühle der 80er nachempfinden.

Im Grunde wissen die Kölner natürlich nicht erst seit diesem Jahr, wo sie musikalisch hinwollen. Bereits die 2016 veröffentlichte Debüt-EP kombinierte mit dem Mut zur großen Geste shoegazige Synthesizer-Flächen mit statisch bebendem Post-Punk. Holygrams Debütalbum „Modern Cults“ setzt genau diese Vision fort und wirkt in seiner Stilistik dabei so gefestigt, dass man glatt geneigt ist, an Veteranen aus der avantgardistischen Ursuppe der Neuen Deutschen Welle zu denken. Das lässt die Band aber nicht verbraucht klingen, sondern verleiht der Band im Gegenteil im zeitgenössischen Kontext schlicht Größe.
„Modern Cults“ ist definitiv nicht das erste Album, das in diesem Jahr in diese Kerbe schlägt. Erst jüngst hatten Karies mit „Alice“ eine äußerst gelungene Verlagerung ihres noisig-lärmenden Grundklangs in die melodische Unterkühltheit der 80er vollzogen. Auch Drangsals „Zores“ zielte eindeutig in diese Richtung, scheiterte aber an seiner Hinwendung zum kitschigen Nena-Teil dieser Stilrichtung. Holygram aber heben sich von diesen Platten ab, weil sie in ihrem Sound kompromisslos größer werden. So wird der Grundtenor von „Modern Cults“ nicht wie etwa bei Karies in erster Linie noch von verhältnismäßig geerdeten Post-Punk-Gitarren dominiert, sondern stürzt sich vor allem auf flächig-krisselige Synthesizer-Monumente, die stilvoll im rauchigen Reverb verschwimmen und der Musik von Holygram so trotz allem Gigantismus die Klasse eines auditiven Film Noires.
Die Band inszeniert viele ihrer Songs dabei sehr dramatisch. Das Intro „Into The Void“ leitet das Album mit düster wabernden Synthesizer-Schwaden ein, zu der helle Klänge leise im Hintergrund verhallen. Der anschließend folgende Titeltrack ist Shoegaze-Inszenierung der verqueren Sorte, die nicht nach immer nach der schönsten Facette der monumentalen Elektronik-Verkleidung sucht, sondern auch die Kunst der klanglichen Überforderung in der maximalen Effekt-Armada sucht. Dass das sogar mit mitreißenden Hooks funktioniert, stellt „She’s Like The Sun“ unter Beweis. Holygram bedienen sich hier der simpelstmöglichen Catchphrase im Refrain, die aber durch ihre grandiose Inszenierung wie die Hymne einer höheren Welt klingt. Das glockenhelle und trotzdem durchdringende Synthesizer-Finale ist die Krönung dieser gewaltigen Klimax.

Holygram vollbringen auf ihrem Debüt das Kunststück, retrospektive Musikrichtungen aufzugreifen und dabei trotzdem nach futuristischer Avantgarde zu klingen. „Modern Cults“ ist ambivalent, wirkt in seiner aufbrausenden Über-Inszenierung warm wie eine Feuersbrunst und bewahrt sich trotzdem die mechanische Sachlichkeit des NDW-Post-Punks. Sorge macht nach dem Genuss dieses Albums lediglich, dass die bis aufs Maximum ausexerzierten Motive und Ideen dieser Platte in kommenden Releases schnell ausgehen könnten. Wer aber mit einem solchen Album debütiert, dessen Zukunft kann eigentlich nur groß sein – ganz ohne Einschränkung.

Fazit

7.7
Wertung

„Modern Cults“ ist ein Inszenierungs-Feuerwerk allererster Güte. Holygram gelingt aber vor allem deswegen ein fantastisches Debüt, weil dieses Album trotz seines Großmutes nie die Substanz verliert. Und wie man daran grandios scheitern kann, haben nicht nur Thirty Seconds To Mars viele Male eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Jakob Uhlig