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Haxan und „Gargoyle“: Kein Anschluss unter dieser Nummer

Für ein wenig Geheimtipp-Furore hat Haxan in den letzten Jahren bereits gesorgt – aber „Gargoyle“ könnte der Durchbruch eines der spannendsten deutschen Underground-Rapper der letzten Jahre werden.

Es gibt Menschen, bei denen man sich fragt, ob das durchschnittliche Skill-Level in der Gesamtbevölkerung eigentlich fair verteilt wurde. Hakan Halaç alias Haxan ist einer dieser Menschen. Er ist als Frontmann von Kora Winter nicht nur Sänger einer der besten Metal-Bands, die der deutsche Underground in den letzten Jahren an Land gespült hat, sondern probiert sich seit einigen Jahren auch mit seinem Soloprojekt an der Hip-Hop-Front aus. Nicht jeder seiner frühen Gehversuche im Rap-Game war sofort ein absoluter Volltreffer, aber dass da etwas Besonderes in der Luft lag, ließ bereits die erste EP „Raw“ erahnen. Haxans Rap-Stil war immer – das ist bei seinen sonstigen musikalischen Aktivitäten nicht weiter verwunderlich –scharf und schneidend, ohne dabei in stumpfes Konfrontations-Gelaber zu verfallen. Seine Beats sind kantig, drückend und doch zerbrechlich. „Frieden“, eine Single der zweiten EP „War“, verkörperte in ihrem fragilen C-Teil vor eineinhalb Jahren erstmals pointiert das, was Haxan auszeichnet: die Fähigkeit zum aggressiven Duktus, der aber erst durch seinen Einbruch wirklich real wird.

Haxan liegt mit seinem Stil nämlich eigentlich gar nicht so weit von aktuellen Bewegungen des Hip-Hops entfernt, wie man mit Blick auf den deutschen Mainstream vermuten könnte. In den USA hat seit dem Aufflammen der Soundcloud-Trap-Welle schließlich nicht nur destruktiver Emo-Rap wie der von Lil Peep Hochkonjunktur, sondern auch solcher wie der von Scarlxrd oder den $uicideboy$. Wer einmal einen Moshpit auf den Konzerten dieser Künstlerriege mitgemacht hat, der weiß, dass die meisten Metalshows dagegen absoluter Kindergarten sind. Gleichzeitig bleibt diese Musik aber auch stetig das, was sie sein möchte: ein kompromissloser Tobespielplatz für eskalative Trap-Kids, dessen Wow-Effekt spätestens nach dem dritten Song allmählich verfliegt und dessen Emotionen einfach unecht sind. „Gargoyle“ ist aber auch gerade deswegen Haxans bisher mit weitem Abstand größtes Werk, weil es meisterhaft emotionale Höhen und Tiefen nebeneinanderstellen kann. Erst dadurch entsteht eine Platte, die mehr kann, als einem deftig auf die Fresse zu geben. So steht ein Song wie „Stre$$“, der einen mit seiner manischen Hyperaktivität in knapp vier Minuten an den Rande des Burnouts zu bringen vermag, neben „100gesichter“ – einer der größten Volltreffer auf „Gargoyle“. Hier ist fast gar nichts beatgetrieben, die gepitchte Kraftlosigkeit wird zum trostlosen Soundtrack einer Depression, während Haxan singt: „100 Gesichter, doch keins davon deins / Ich glaub ich war niemals irgendwo daheim.“

Es sind diese Momente des Einigelns, die die Musik auf „Gargoyle“ so unvorstellbar real machen. Haxans Orientierungspunkte sind aber sowieso nicht die, in denen Hip-Hop zur Verkörperung von aufgesetzter Emotionsgewalt wird, sondern die avantgardistischen Ausnahmezustände mancher Punk-Rap-Crossover. Schon immer klangen die Songs des Berliners mehr nach einer Eigeninkarnation von Ho99o9, auf „Gargoyle“ referenziert Haxan sogar die großen Death Grips mittels eines Samples im manisch wütenden „Bloodflow“. Dass mit diesem Klang- und Songwriting-Gerüst obendrein noch Gefühlszustände so frappierend verkörpert werden können, ist dabei die zusätzliche Kür. Man glaubt beim Hören von „Gargoyle“ in jeder Minute, dass dieser Sound hier nicht einfach nur vorherrscht, weil der Künstler ihn geil fand, sondern weil er die perfekte Repräsentation einer chaotischen Emotionsfahrt zwischen Ruhelosigkeit, Depression, Aggression und Verzweiflung ist. Im Titeltrack, dem unzweifelhaften Hit der Platte, überschlägt sich Haxans Stimme in der zweiten Strophe schließlich, während sie von technisierter Horror-Atmosphäre in bloße Wut kippt: „Ich bin paralysiert, guck in die Leere / Träum von der Realität die jeder will / Da wo ich herkomm will jeder wissen wo du herkommst / Keiner will hier wissen wer du bist.“

Manchmal lässt einen „Gargoyle“ wirklich sprachlos zurück. Es ist die Ästhetik des Künstlers, die mit diesem neuesten Projekt wirklich unverwechselbar geworden ist. Es ist die unglaubliche Art, in Bildern zu sprechen, die Haxan immer besser zu beherrschen scheint – im Mund ist der Geschmack von Eisen, zur Beichte wird man auf die Knie gerissen, eine Mische ist das letzte bisschen Frieden in dieser Welt. „Gargoyle“ ist eine Platte von Abschottung, von Außenseitertum und dem Frust über eine Existenz, der man sich einfach nur fern fühlt. Ein Trip des Wahnsinns, dessen Konsequenz kaum besser ausgedrückt werden könnte als durch das Finale von „Der Fremde“, das seiner Unruhe schließlich in einem zynischen Bläserfinale Ausdruck verleiht. Es ist 2021, die Menschheit scheint entzweit wie nie, niemand weiß mehr, wohin es gehen soll – und „Gargoyle“ ist in all diesem Chaos nicht nur Underground-Speerspitze, sondern Manifest eines Verlorenen. Und weil sich das auch noch ganz hervorragend pumpen lässt, bleibt am Ende eigentlich nur die Frage, warum zur Hölle das nicht schon längst viel mehr Leute hören.

Fazit

9
Wertung

Kurz vor Abschluss des Jahres bricht eine der besten Veröffentlichungen 2021 über uns herein – und wieder frage ich mich, wie Hakan Halaç in all seinen Klangsprachen immer wieder die richtigen Töne zu finden scheint. „Gargoyle“ ist die Platte, die seinen Status als eine der wichtigsten Persönlichkeiten im deutschen Musik-Underground endgültig zementiert.

Jakob Uhlig
8.9
Wertung

Haxan vertont diesen Selbsthass, der in den Tiefen der eigenen Depressionen der einzige, stetige Begleiter scheint und schafft so eine aggressive Grundstimmung, welche dem Album eine enorme Energie verleiht. Denn wenn man alle Emotionen überstanden hat, bleibt als einziges der Hass, der die eigene Selbstzerstörung immer weiter antreibt.

Paula Thode