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Goo Goo Dolls und „Miracle Pill“: Homogenisiertes Material

Die Goo Goo Dolls werfen auf „Miracle Pill“ eine zentrale Frage auf: Wie ärgerlich muss es sein, wenn man mutmaßlich sämtliche Trademarks heutiger Weltstars vereint, doch selbst nie an deren Erfolge anknüpfen konnte? Eine Spurensuche in den vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Szene.
Goo Goo Dolls Miracle Pill Cover

Mit Musik verhält es sich wie mit einem naturbelassenen Tropfen Kuhmilch – sie mag schmackhaft sein, ist aber im Gegenzug nur schwerlich zu verdauen. Daher setzt die lebensmittelverarbeitende Industrie auf die Homogenisierung von Milch. Fettstrukturen werden unter hohem Druck verkleinert, um die Verarbeitung der Nährstoffe im Darm zu vereinfachen. Auch Musikstücke werden mitunter qualitativ komprimiert, ehe sie Ihren Weg in die Gehörgänge finden. Man traut seiner Hörerschaft wenig zu und muss auch die Kunst „homogenisieren“. „Miracle Pill“ geht zunächst andere Wege: Gerade zu Beginn muss man neidlos anerkennen, dass es sich von derlei Tendenzen zu distanzieren vermag.

„Indestructible“ ebnet als Opener den Weg für erhabene Stadiongefühle. Zwischen den Dire Straits und Joe Cocker musizieren die Goo Goo Dolls in einer quicklebendigen Verspieltheit. Aufbäumend, dynamisch, packend. So darf es weitergehen und so geht es auch tatsächlich weiter: „Fearless“ klingt ebenso furchtlos, wie der Titel vermuten lässt. Der Song tänzelt munter über den frisch gepflügten Acker und lässt sich von keinem Stock und keinem Stein aufhalten. Ein nachhaltiger Ohrwurm, dem auch der Titelsong in nichts nachsteht. „Miracle Pill“ ist ein würdiger Namensgeber, der nicht mit Effekten geizt und doch zupackt, wenn es darauf ankommt. Am ehesten lassen sich hier die Goo Goo Dolls einer Gemengelage aus Soul und Swing zuordnen.

Leider kann man den anfänglichen Elan nur schwerlich aufrechterhalten. „Lights“ wirkt mit seinem halbgarem Brit-Pop zunächst eher befremdlich. Derartige Projekte sollte man dann doch den Gebrüdern Gallagher überlassen. Auf „Life´s A Message“ erwartet man unweigerlich die großen Lebensweisheiten buddhistischer Kulturkreise - und wir letzten Endes doch mit Floskeln und Plattitüden abgestraft. Trübe Nebelschwaden, hier wäre mehr drin gewesen. „Step In Line“ verliert sich zwischen Anspruch und Realität. Flüsternd-rauchige Vocals sollen geheimnisvoll erscheinen, aber harmonieren leider kaum mit der hinterlegten Instrumentalisierung. So verbleibt lediglich ein gut gemeinter Versuch. Inmitten jener doch recht gegensätzlichen Impressionen präsentiert sich eine starke Mittelschicht als pflichtbewusstes Tragwerk des vorliegenden Albums.

Die hiesigen Patentämter müssen nun wahrlich keinen überbordenden Arbeitsaufwand befürchten. Die Mitarbeiter hingegen dürfen sich auf ordentlichen Pop-Rock der Marke „Over You“ oder „Autumn Leaves“ freuen. Angenehmer Zeitvertreib, der dem Spätsommer einen versöhnlichen Ausklang beschert. Natürlich erhält auch ein wenig Kitsch Raum zur Entfaltung. So schielt „Money, Fame and Fortune“ vorsichtig in Richtung Radiotauglichkeit, während „Thinking It Over“ die Stimmung hochkochen lässt. Gospel-Chöre sind im US-amerikanischen Kontext keine Seltenheit und doch verkörpern sie ein durchaus interessantes Add-On für die Popularmusik. „Lost“ versöhnt letztlich alles Parteien am runden Tisch. Elektronischer Drive und verträumtes Zupfen? Kennt man sonst von Hurts; kennt man vielerorts auch schlechter!

Befragt man Fankreise und Musikliebhaber (liest eigentlich noch jemand klassische Foren?), so haben die Goo Goo Dolls eine besondere Rolle inne. Solch einen Kultstatus kriegt man nicht geschenkt – er ist das Resultat langer Arbeit und von dem Mut zur wiederholten, persönlichen Neuerfindung. „Miracle Pill“ gönnt sich vor diesem Hintergrund kaum Fehltritte und ist somit eine vernünftige Kurzzeitbeschäftigung. Sauer aufstoßen wird das Material keinem, der Homogenisierung sei Dank.

Fazit

5.6
Wertung

Böse Zungen würden die Goo Goo Dolls als verstaubt und überholt bezeichnen – ich sehe sie aufgrund Ihrer langwährenden Geschichte als Inspiration nachkommender Musiker. Insofern alles im Lot.

Marco Kampe