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Goldroger und „Diskman Antishock“: Unter Nelken

Über fehlende Abwechslung konnte man sich bei Goldroger tatsächlich noch nie beschweren, über fehlende Musik hingegen schon. Nach dreijähriger Pause markiert „Diskman Antishock“ das Comeback von Deutschraps Flowerboy.

Gestartet als einer der vielversprechendsten Rapper des MOTs 2014 hat Goldroger seither still und heimlich die Grenzen des Deutschraps erweitert. Zuletzt zitierte sich der Dortmunder auf dem hippie-esken „Avrakadavra“ durch die halbe Weltliteratur, umspielt von den sphärischen Gitarrenschwaden seines Produzenten-Duos Dienst & Schulter. Erst in der Retrospektive wird klar, wie weit dieses Album 2016 in unbekannte Gefilde vorstieß. „Avrakadavra“ war so offen verletzlich und Genre-übergreifend konzipiert, dass man es glatt mit einem anderen Blumenkind-Rap-Werk vergleichen könnte – Tyler the Creators „Flower Boy“. Vermag „Diskman Antishock“ nun gar in die Fußstapfen eines „IGOR“ zu treten?

Nun, hier stößt der Vergleich dann doch an seine Grenzen, allein schon, da am 29. November lediglich die ersten sieben Tracks von „Diskman Antishock“ erscheinen, der zweite Teil des Albums soll ihnen am 24. April 2020 nachfolgen. War auf „Avrakadavra“ stellenweise noch eine Goldie-typische Verkopftheit anzutreffen, ergibt sich der Neuling nun voll und ganz dem Vibe. Melodiös breitet sich Goldrogers Stimme über neblige Instrumentals aus und verliert sich in vernuschelt-catchigen Hooks, die Goldies allgemein etwas schluffiger Delivery durchaus entgegenkommen. Wer will, kann in Titeln wie „Bomberman“ und „Potion“ immer noch diverse Anspielungen und clevere Wortketten entdecken, doch essenziell sind diese nicht mehr. Tracks wie „Coup de grâce“ vermögen ihre Message auch ausschließlich über ihren dunklen Vibe zu vermitteln, während „Halt“ allein durch seine Bitter-Sweet-Symphony-Harmonien in voller Pop-Größe erstrahlt.

„Diskman Antishock“ wirkt mit seinen Videospielreferenzen und unverschämt poppigen Kolorierungen zeitlos und schwer zu fassen. Gleichwohl besitzt nicht nur das Album etwas Suchendes, sondern auch Goldies Stimme, die mehr als einmal auf eine Quest nach der richtigen Tonlage geht. Ist aber alles irgendwie ganz charmant. Goldrogers „IGOR“ steht zwar noch aus, doch bietet „Diskman Antishock“ einen zeitlos unverbrauchten Soundtrack für die Wartezeit – mindestens bis zum 26. April 2020.

Fazit

7
Wertung

Ich geb's ja zu: Goldroger gehört zu meinen Lieblingen, dessen Karriere ich von den ersten Gehversuchen bis heute mitverfolgt habe. Und auch wenn ich zuweilen nicht jeder seiner musikalischen Weiterentwicklungen folgen kann, so muss ich doch zugeben: Selbst in einem herausragendem Deutschrap-Jahr wie 2019 bleibt Goldroger eine der interessantesten, originellsten und experiementierfreudigsten Figuren des deutschsprachigen Kosmos. 

Felix ten Thoren