Foxing und „Nearer My God“: Standing On The Shoulder Of Genres

Harmonisch ausgefeilt, emotional verdichtet, melodiös eingängig: Es passiert nicht so oft wie man glaubt, aber ab und zu erscheint dann doch wieder ein Indie-Act auf der Bildfläche, der alles Derzeitige in den Schatten stellt. „Nearer My God“ bewegt sich in jeder Hinsicht auf absurdem Niveau und lässt alle Referenzen meilenweit hinter sich.

„At first, we needed the click.“ Giorgio wäre wohl stolz, würde er zuhören. Ein trabender Metronom-Beat, die Clap sitzt auf der zwei. Bis jetzt könnte „Grand Paradise“ auch ein Lorde-Track sein. Eine sanfte, angenehm unperfekte Indie-Gitarre setzt zusammen mit zwei Dur-Akkorden im Kleinterzabstand ein, was etwas an Gladys Nights Bont-Titelsong „Licence To Kill“ erinnert - mit charmanter Neo-Soul-Kadenz dreht sich das Klavier aber immer wieder stimmig zurück zum Anfangsakkord. „I can be a romantic/When I’m starting to sleep“ singt Conor Murphy und klingt in seiner lässig-verschrobenen Kopfstimme verdächtig nach Portugal. The Man. Das alles passiert in gut dreißig Sekunden, ohne, dass es beim Hören mit der gewohnt niedrigen Aufmerksamkeitsspanne sonderlich auffällt, wie musikalisch ausgetüftelt dieser Opener doch ist. Spätestens nach einer weiteren Minute kann man sich der emotionalen Dichte aus verschwommener Harmonik nicht entziehen, die zwar farbenfroh, aber eingetrübt ist. Ein zunächst fragwürdiger, aber am Ende schlüssiger, Spannungsbogen führt in einen herzzerreißenden, bittersüß-hymnischen Ausbruch, der sich wie eine blinde Flucht in die melodische Positivität anfühlt. Ein Trugschluss auf dem Gegenklang spricht aber eine andere Sprache – das Fazit des Songs ist wieder grimmig und zerrissen, er lässt einen aufgewühlt, resigniert und gleichzeitig begeistert zurück – wobei Letzteres weniger mit der werkimmanenten Interpretation zu tun hat, sondern einfach die Freude darüber ist, was für ein großartiges Stück Musik man soeben hören durfte.

So beginnt „Nearer My God“, und viel besser kann man ein Album auch nicht beginnen, erst recht nicht eines wie dieses. Hatte „Nearer My God“ mit seiner bärenstarken Indie-Melodie, kombiniert mit der herzzerreißenden Zeile „Does anybody want me at all?“ und seinen fünf verschiedenen Versionen in den Sprachen englisch, deutsch, spanisch, französisch und japanisch bereits einen kleinen Hype im Indie-Bereich ausgelöst, erfüllen Foxing diese hoch gesetzte Messlatte als Everybody’s Darling voll und ganz. „Nearer My God“ ist als Album stilsicher und vielseitig, zollt den Einflüssen aus Folk und Emo Tribut, geht aber neue, zeitgemäße Wege. Die Band nimmt sich Zeit für die Kreation introvertierter, hypnotisierender Klanggebäude aus weinerlichen Gitarren, gesprenkelten Synthesizern, klagendem Gesang und geschmackvoll eingesetzten Beats voller Liebe zum Detail, die dauernd drohen, in sich einzustürzen und es nur allzu oft auch tun. Exemplarisch dafür steht etwa „Lich Prince“, das erst an eine dreckigere Version von Nothing But Thieves erinnert, dann aber den immer etwas präsenten Ambient-Touch verliert und in einem furiosen Blues-Solo explodiert, das auch vom frühen Jonny Greenwood hätte stammen können. Generell ist Radiohead in den Kadenzen, im Gesang, im Sound und der allgemeinen Attitüde von Foxing nie richtig greifbar, aber stets zu spüren.

Ihre Folk- und Emo-Wurzeln verleugnen die US-Amerikaner dabei nie, sie verbinden sie über den Faktor Indie aber mit Electronica, sanften Prog-Anleihen und R’n’B der angenehm unpeinlichen Sorte. Erstaunlich ist, wie sehr am Puls der Zeit Foxing zu jeder Sekunde klingen, wie sie mit jedem Ton außer Konkurrenz stehen, und sich doch nie an aktuelle Trends anbiedern. Im Gegenteil, „Five Cups“ etwa steht in seiner intimen Klanggewalt, den eintrübenden Noise-Schnipseln und dem epischen, eingängigen Spannungsbogen ganz in der Tradition Bon Ivers und seinem Pop-Progressivismus, der in seiner letzten Instanz aber auch bereits zwei Jahre her ist – im schnelllebigen Mainstream-Zirkus eine halbe Ewigkeit. Die dazugehörige Melancholie würzen Foxing dabei gar mit der nötigen Prise Emo: „I wanna drown/With my arms closed“ – darüber hinaus beschäftigt sich Conor Murphy hier mehr denn je mit dem zunehmend desolaten Zustand einer auseinanderfallenden Welt.

Leider gesellen sich zu großartig komponierten Indie-Hymnen zwischen glatter Verschrobenheit und abwechslungsreicher Catchiness wie „Grand Paradise“, „Gameshark“ oder „Lich Prince“ auch einige wenige Durchhänger, die zwar nett anzuhören sind, dem sonstigen Niveau des Albums aber nicht das Wasser reichen können. „Slapstick“ etwa ist relativ simpler Feelgood-Indie und auch „Trapped In Dillard’s“ fühlt sich eher wie ein Platzhalter an, was im Vergleich zur sonstigen Detailversessenheit à la Bent Knee zum Scheitern verurteilt ist. Den Bogen zum Ende des Albums kriegt das Quartett zum Glück noch mit „Lambert“, das ihre nicht unerheblichen Post-Rock-Fähigkeiten hervorhebt und dem Album den bittersüßen Abgang spendiert, den es verdient hat. Ein kurzes Aufbegehren mit aufwühlendem Uptempo-Beat, ein letztes Zucken, und dann ist es geschafft. Dieses Album wird uns noch lange im Gedächtnis bleiben.

Fazit

8.5
Wertung

Großartige Indie-Melodien zwischen optimistischen Aufbegehren und eskapistischer Introvertiertheit, ein stilsicherer Ambient-Sound und hier und da Ausbrüche Richtung Emo, Folk und Post-Rock: „Nearer My God“ ist hypnotisch eingängig, künstlerisch spannend wie lange nicht und spielt in den besten Momenten auch nach Pop-Maßstäben die gesamte Konkurrenz an die Wand. Foxing liefern das bislang beste Indie-Album des Jahres ab

Julius Krämer