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Fatoni und "Andorra": Das Leben der Anderen

Das jüngste Album des Münchener Rappers ist sein persönlichstes bisher, und handelt doch in weiten Teilen von fremden Lebensentwürfen.

Wann war er eigentlich, dieser Moment der Wachablösung im Deutschrap? Der Moment, in dem ein Dieter-Bohlen-Cover nicht mehr das sichere Ende einer jeden Rapper-Karriere bedeutete, sondern Platz 37 in den weltweiten Charts. Der Moment, ab dem sogenannte Straßenrapper mit Gucci-Taschen über den Modestrich zogen und sich über ihre Schuhkollektion definierten. Klar, als ewig hängengebliebener Real-Keeper will nun auch niemand dastehen, aber muss man deswegen solche Instagram-Rapper allein aufgrund ihres finanziellen Erfolges feiern?

Manche Leute können das. Dieter Bohlen zum Beispiel, dem gleich ein ganzer Track der neuen Fatoni-Platte gewidmet ist. Für „D.I.E.T.E.R.“ ist Paul McCartney der größte Komponist aller Zeiten; für Fatoni auch, nur nicht allein des Geldes wegen. Seine Beatles-Macke hat ihm zwar zur Musik und jüngst sogar zu einem Cover-Artwork vom „fünften Beatle“ Klaus Voormann geführt, aber eben auch in einen jahrelangen Hustle im Deutschrap-Untergrund. Dabei könnte es so einfach sein. Einfach mal sein wie Dieter, einfach mal einen Stadionhit schreiben wie Marteria, das wär‘s.

Es sind die Lebensentwürfe der Anderen, die „Andorra“ thematisiert. Gleichwohl Fatonis persönlichstes Album, nimmt er darauf häufig die Rolle des außenstehenden Beobachters ein, der bewundert, vergleicht und resigniert. „Egal wo du hingekommen bist, du warst immer nur Tourist“ haucht ihm Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow da im Opener „Alles zieht vorbei“ entgegen, begleitet von den sphärischen Klängen des Elektro-Produzenten Occupanther. Der Satz könnte es nicht besser treffen.

Denn ja, es könnte alles so einfach sein, wie auch Fatoni konstatiert, und er setzt auf dem gleichnamigen Track noch ein [aber] Nein Nein Nein Nein Nein Nein“ hinterher, sobald es um die Verschwörungstheorien alter Schulkameraden und bekannter Rapper geht. Man könnte sein wie „D.I.E.T.E.R.“, oder wie der Heroin-Junkie „Mitch“, oder wie „die Anderen“ es einem sagen. Doch der Fluch der reflektierten Selbsteinschätzung ist eben dieser gottverdammte Hang zur Ambivalenz. Selbst wenn Fatoni dann mal als „Clint Eastwood“ auf der Veranda sitzt und lyrisch gegen die Gucci-Generation schießt, tut er das in fast schon entschuldigender Weise, nach dem Motto „Ich werde auch nicht jünger, könnte ja vielleicht auch daran liegen.“

Ab und zu hat man dabei den Eindruck, dass Fatoni nicht nur mit seinem Rapper-Dasein hadert, sondern auch mit der augenscheinlichen Loslösung davon. Das Gitarrengeschrammel von „Digitales Leben“ versteckt sich beispielsweise noch etwas hinter seiner Badezimmer-Handyaufnahmen-Ästhetik. Dabei zeigt Fatoni doch selbst, wie gut die Fusion von punkiger Singer-Songwriter-Musik und HipHop-Attitüde funktionieren kann, wenn er dem Resignations-Song „Krieg ich alles nicht hin“ noch ein „Ich bin der gottverdammte King“ nachrotzt. Woher also diese Angst, nicht mehr „Real-Rap“ zu sein, wo dieser Begriff doch schon längst an Bedeutung verloren hat? Ist ein „Burj Khalifa“ samt Casper-Feature und großartig halb-whacken Lines wie „Ich bin Iron Man, also wenn das Iron für ironisch steht“, Real-Rap? Jap, definitiv, aber ein persönlicher Song über Panikattacken und Selbstzweifel eben auch.

Für Fatoni mag diese Zerrissenheit eine Plage sein, für „Andorra“ ist die Ambivalenz seines Protagonisten das Beste, was passieren konnte. Von marginalen Schwächen wie dem etwas plakativ geratenen Algorithmus-Liebeslied „Wie du“ einmal abgesehen, bietet das Album eine Vielschichtigkeit, die in jüngster Zeit lediglich ein Tua erreichen konnte. Zugleich aber steht es – als absolutes Novum – für das erste gelungene Album über ein Älterwerden im deutschen Rap. Wenn Fatoni sich vor ein paar Jahren nicht schon selbst als „Benjamin Button“ bezeichnet hätte, nun wäre es offensichtlich.

Fazit

8.7
Wertung

Der würdige Nachfolger von „Yo, Picasso“. Shoutout auch an die Produzenten Farhot, Fid Mella, Martin Brugger, Occupanther, Torky Tork und natürlich Dexter.

Felix ten Thoren
9.2
Wertung

Das ist der Maßstab! So hat Deutschrap in 2019 zu klingen. Beißend, selbstironisch, selbstreferenziell, hochintelligent und manchmal auch ein bisschen bescheuert. Vielen Dank Fatoni, dass du uns daran erinnerst wie es gehen kann!

Moritz Zelkowicz