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Fahnenflucht - Angst und Empathie

Mit “Angst und Empathie” liefern Fahnenflucht einen wütenden Tonträger ab, welcher uns aufgewühlt, zweifelnd und wütend zurücklässt. Mit dem Album formuliert die Band messerscharfe Kritik am deutschen Staatsapparat, an blindem Fanatismus und den aktuellen gesellschaftlichen Zuständen.

Fünf Jahre mussten Fans von Fahnenflucht auf eine neue Scheibe warten, aber was gut werden will, braucht manchmal Zeit - wie ein guter Wein. Statt Wein haben wir uns selbstverständlich ein Bier geöffnet, bevor wir die Platte eingelegt haben - zum Trinken kamen wir allerdings kaum. Mit “Lichterketten” finden die Fünf gleich einen brachialen Einstieg in ihr neues musikalisches Werk. Das Schlagzeug ächzt unter dem Prügel von Jan, die Gitarren von Reiner und Mole krachen und zerren und Sänger Thomas schreit gleich mit aggressiven Worten um sich, die auf einem vorantreibenden Bass durch die Boxen schmettern. Als Zuhörer merkt man gleich, dass nach fünf Jahren keine Zeit blieb, hier langsam ins Thema einzuführen. “Toleranz, das große Wort in diesem kleinen Land, das vor Kraft kaum gehen kann” ist der erste Satz des Albums und gibt gleich die Richtung vor. Hochpolitisch verarbeiten Fahnenflucht die Ereignisse der jüngsten deutschen Geschichte und fragen mahnend: “Warum wurde nichts getan”?

Fremdenhass, Mord und Zorn werden hier als Gift der Gesellschaft treffend hervorgehoben. In “Todesmelodie” wird die Religion hart ins Gericht genommen - genauer gesagt die fanatische Auslegung selbiger. Mit “Grenzen” als vierten Track kommt es weiterhin zu knallharten Ansagen. Mit der Frage “Wo sind die Grenzen deiner Toleranz [..], deiner Akzeptanz[..]?” meint Fronter Thomas allerdings keine Staatsgrenzen, sondern die Grenzen in unseren Köpfen. Er hat darauf eine klare und richtige Antwort: Für ihn “[..] sind sie erreicht, wenn die Dummen immer lauter schreien”. Auch musikalisch ist das Lied eines der stärksten des Albums und treibt gut nach vorn. Mit “Kapital” folgt gleich ein weiterer Kracher auf der Platte. Spätestens hier merkt man, dass sich die Band noch einmal ein Stück weiterentwickelt hat. Es wirkt alles schnittiger, klarer und auf den Punkt gebracht als früher. Matthias Lohmüller als Produzent hat hier ganz klar gute Arbeit geleistet.

Das ganze Album wirkt rund und klug durchdacht. Hier ist kein Lied fehl am Platz, alles hat seine Legitimation. “Freier Fall” nimmt sich einem Thema an, das noch nicht häufig auf Punk-Scheiben aufgegriffen wurde - Cyber-Mobbing. Richtig mitgenommen hat uns “Kind”. Das Lied ist wohl das aufwühlensdte Stück, welches wir seit langem auf einem Tonträger gehört haben. “Wie erklärt man einem Kind, das Menschen Menschen töten, wenn der Hass in uns gewinnt” als Zeile des Refrains lässt uns schwer schlucken und Ratlosigkeit folgen.

Mit dem letzten Track “Hoffnung” holen uns Fahnenflucht dann noch einmal ab. “Verliere nicht die Hoffnung[..], verliere nicht den Mut[..], verliere nicht den Glauben, vergiss mich nicht” beschließt das Album und hallt noch einige Zeit in unseren Köpfen nach, während wir nachdenklich dasitzen und uns an das geöffnete Bier erinnern. Knapp 44 Minuten kluger, antifaschistischer, aggressiver Punk liegen hinter uns und haben bei uns einiges durcheinander gebracht. 13 Lieder, die auf den Punkt ihre Message bringen und zur Selbstreflektion anregen - so muss Deutschpunk in diesen Zeiten sein.