Neben aller Metaphorik darf bei In Extremo der typische Ohrwurm ebenso wenig fehlen. Wem „Frei zu sein“ oder „Nur Ihr Allein“ als altgediente Klassiker in Erinnerung geblieben sind, der wird auch an „Troja“ (Achtung: hochsimples Reimschema) oder dem Titeltrack Gefallen finden. Die auf dem Cover illustrierte Dampflokomotive zieht die Passagiere in Richtung Freiheit und Abenteuer. Treibende Rhythmen, markige Gitarrenspuren und die erstaunlich abwechslungsreichen Dudelsäcke greifen nahtlos ineinander. Gleiches gilt für die darauffolgenden Partytracks. Während das „Narrenschiff“ die Vorzüge des Spielmannsdaseins referenziert, kommt „Reiht euch ein ihr Lumpen“ gut und gerne mit der Rolle des einfach gestrickten Trinkliedes zurecht. Die freibeuterischen Einflüsse von „Mein rasend Herz“ werden auf dem selbst-zelebrierenden „Brüder“ fortgeführt. Störtebeker wäre stolz auf euch, ihr Wasserratten!
„Gogiya“ und „Salva Nos“ halten die traditionellen Wurzeln der Band hoch. Auf ersterem gibt sich Georgij Alexandrowitsch Makazaria (Russkaja) die Ehre und zelebriert den osteuropäischen Kulturraum. Die über lange Zeit erwachsene Sympathie für Russland ist nicht erst seit „Roter Stern“ bekannt, wurde jedoch in der jüngeren Vergangenheit ganz besonders betont. Vielleicht gerade in den heutigen Zeiten ein schönes und wichtiges Statement? „Salva Nos“ hingegen wird speziell Anhänger der fremdsprachigen Verse erfreuen. Kein „back to the roots“, sondern eine geschickt platzierte Verneigung vor der eigenen Vergangenheit. Möchte man abschließend einen konkreten Makel ausfindig machen (gehört doch auch gewissermaßen zum journalistischen Habitus, oder etwa nicht?), fällt maximal der „Biersegen“ aus dem Rahmen. Zugegeben: Es handelt sich um Jammerei auf gewisser Fallhöhe, doch gänzlich ohne Optimierungsvorschläge wäre eine Plattenkritik allenfalls halbgar.
In der Gesamtbetrachtung ist „Kompass zur Sonne“ so stimmig wie lange kein Werk zuvor. Die 2000er Jahre gelten nicht ohne Grund als Blütezeit der Band, welche den Großteil der heutigen Klassiker hervorbrachte. Einige Jahre später scheinen In Extremo zu alter Stärke zurückgefunden zu haben, was in den sozialen Netzwerken/Fankreisen auch sichtbar honoriert wird. Hoffentlich werden Sie uns noch zu vielen weiteren, mystischen Orten entführen.