Reviews

The End Of The Ocean und „-aire“: Angenehme Menschenleere

Das Instrumental-Post-Rock Quintett aus Columbus in Ohio ist in Kennerkreisen längst ein Monolith der Szene. Mit „-aire“ befestigen sie ihren Status als herausragende In-menschenlose-Welten-Entführer.

„-aire“ ist wie eine Katze. Eine schnurrende Katze, eine schläfrige Katze, eine kratzende Katze, ein Stubentiger und ein Raubtier. „-aire“ ist das so vertraute klimpernde Rauschen der Wellen. Nicht nur am Rand und Ende des Wassers, nein, auch wenn man sich mutterseelenallein auf einer winzigen Insel im Niemandsmeer findet. „-aire“ ist Hintergrundmusik. Komponiert aus sanftmütigen und stimmungsvollen Klangwelten, die Bilder vor das innere Auge rufen, wie man sie aus der Autowerbung kennt. Solche Bilder, die das Gefühl von Weite, Rahmenlosigkeit und vielleicht sogar Freiheit vermitteln. Aber eigentlich sitzt man in einem Aluminiumvehikel und bläst Feinstaub in die schöne Natur um sich herum.  The End Of The Ocean sind wie Autowerbung. Nur ohne die Lügen über die entfachten Gefühle.

Der Opener „Endure“ trägt mit Aussicht auf über 50 Minuten Spielzeit einen humorvollen Titel. Klanglich könnte er ebenso gut das langgestreckte Intro von so mancher Post-Hardcore Platte sein. Ist er aber nicht. Er ist der Auftakt zu einer sich Stück für Stück entfaltenden Welt von Musik, die Pantomimen stark ähnelt. Da ist viel Raum zum Denken, Erfinden, Selbstsuchen und -finden, Interpretieren und Fühlen. Denn ohne einen Laut aus menschlicher Kehle, ohne auch noch so unkonkrete Konkretheit des lyrischen Gebildes zur Musik bleibt unendlich viel Platz für Gefühle und Gedanken, die zum Zeitpunkt des Hörens stets durch aktuelle persönliche Erfahrungen und Erlebnisse bestimmt sind. So gesehen ist Instrumentalmusik durchaus zeitlos. Und irgendwie entspringt dem Fehlen des Gesangs ein Anflug von angenehmer Menschenleere.

Bemerkenswert ist „Jubilant“. An dritter Stelle auf der Tracklist ist er der einzige Song, der ohne sich steigerndes Intro direkt nach vorne geht und seinem Namen gerecht werdende fröhlich und euphorische Tanzbarkeit versprüht. Ansonsten bewegen sich The End Of The Ocean eher im nachdenklichen, nicht ganz so behaglichen oder Frohmut verspritzendem Klangspektrum. Dabei gelingt es dem Quintett jedem Song einen eigenen, vollständigen Spannungsbogen zu verleihen. Ob das nun über drei oder sieben Minuten geschieht. The End Of The Ocean komponieren mit einem Geschick und Feingefühl, welche sich nicht zwangsläufig technischer Raffinesse bedient, aber „-aire“ dennoch an keiner Stelle langatmig, monoton oder langweilig machen.

Und so, wie jeder Song seinen individuellen Spannungsbogen aufweist, spannt sich ein eben solches Element auch über das gesamte Album hinweg. „Endure“ als Begrüßung, vorsichtiges Aufnehmen und vorbereiten für die lange Reise und „Jubilant“ als aufgeregter Start á la „Endlich geht es los!“. „Homesick“ verklanglicht das retardierende Moment, sieben Minuten Schwermut versetzen dem Fortschreiten einen Dämpfer. Aber irgendwie ist Heimweh auch ein tolles Gefühl, denn es belegt doch nichts anderes, als dass man sich irgendwo heimisch, geborgen und zugehörig fühlt. The End Of The Ocean gelingt es hervorragend, dieses eigentlich unheimliche Gefühl zu einer tröstenden Umarmung zu kultivieren.

Der folgende Track und Höhepunkt „Forsaken“ schafft es sogar, das Gefühl von inmitten eines kanadischen Waldes meterhoch eingeschneit sein zu romantisieren, bevor die Schneemassen die Fenster eindrücken, das Dach zerbirst und man mit seinen erstickenden Hilferufen begraben wird. Und es immer weiter schneit. Die anknüpfende Nummer „Redemption“ ist nicht nur im Titel versprochene Errettung. Über sieben Minuten hinweg wird jeder mächtige, unheimliche oder erdrückende Aspekt aus „Forsaken“ wieder gut gemacht, jeder Riss geflickt, jede Enge in der Brust wieder aufgelöst. The End Of The Ocean gelingt es durch absolut stimmiges Arrangement, dem Hörer das Gefühl zu geben, dem Unerbittlichen standhalten zu können. „Redemption“ spricht wortlos von Mut, Hoffnung und Kraft.  Der Closer „Birthright“ ist eine edle Zusammenfassung und ein krönender Schluss. Weitreichende, episch anmutende Synthieflächen und tragende Gitarren mit bis zur Erlösung kletternde Drums die nach dem Höhepunkt so schnell verhallen wie die Zuneigung zum One-Night-Stand.

Und letztlich bleibt nur ein etwas befremdlich anmutendes Gefühl im Bauch. Denn Melancholie, Verlorenheit, Weltfremdheit, Unverständnis und die breit gefächerte Emotionswelt drumherum sind The End Of The Oceans Werk immanenter als pure Freude, sommerliches durch den Regen Tanzen oder, oder, oder. Wenn eine positive Emotion wie in „Jubilant“ mal dominiert, so ist es meist eine der Art, die sich durch Abgrenzung oder bloß im Kontrast zu einer der Art, die Unwohlsein hervorruft, definiert. Dabei bleiben wortlos transportiere Empfindungen immer bloß schemenhaft. Alles Konkrete, jedes Bild mit schärferen Konturen entsteht ausschließlich im Geist des Hörers. Vielleicht ist das ein Vorzug instrumenteller Musiker. Vielleicht ist das aber auch der bedrohliche Abgrund, in welchem eines jeden eigene Dämonen lauern.

Fazit

7.7
Wertung

„Ein Album, das vieles besser macht als die Konkurrenz“. Im Kosmos des instrumentalen Post-Rock stechen The End Of The Ocean unanfechtbar heraus. Doch drückt die fortwährende stimmungsgeladene Grenzenlosigkeit die eigene Empfindsamkeit eher in eine Richtung, die Schultern und Kopf hängen lässt. Aber ich gebe zu, „-aire“ gibt mir mehr als ich befürchtet hatte. I mogs.

Merten Mederacke
6.2
Wertung

Mit ihrer neuen Scheibe „-aire“ hat der Postrock ein weiteres solides Werk im Repertoire, welches man unbedenklich zu jeder Zeit konsumieren kann. Nicht sonderlich einfallsreich, nicht wirklich neu. The End Of The Ocean haben Spaß an dem was sie tun, und das hört man auch. Aber um nicht im Sumpf des endlosen Reverbs und Delays unterzugehen, wäre bald etwas musikalische Innovation wünschenswert.

Erik Swiatloch