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Drangsal und "Zores": Manchmal hilft Verdrängen doch

Das neue Drangsal-Album ist der beste Beweis dafür, dass früher eben nicht alles besser war.
Drangsal Zores Cover

Es ist gerade einmal zwei Jahre her, dass Drangsal mit seinem Debütalbum einen fulminanten Ausflug in den fast schon vergessenen 80er-Post-Punk unternommen hatte. „Harieschaim“ wurde von Fans und vor allem von Kritikern geliebt – vielleicht sogar etwas zu sehr. Trotzdem war die erste Platte des bürgerlich Max Gruber heißenden Künstlers eine Offenbarung an einen beinahe ausgestorbenen und zu den Akten gelegten Genrekomplex, der Hoffnung auf eine große Zukunft weckte. Nun ist mit „Zores“ das vielbesungene schwierige zweite Album da, in dem Drangsal sich trotz seines beachtlichen Erfolgs tatsächlich stark neu orientiert. Das könnte man grundsätzlich erstmal respektvoll bemerken, würde die Linkskurve dieser Platte nicht geradewegs in den Abgrund der Belanglosigkeit führen.

Das liegt nicht in erster Linie daran, dass Drangsal jetzt fast alle seine Texte auf Deutsch vorträgt. Im Gegenteil, der kantige Grundtenor dieser Sprache schmeichelt dem galanten Timbre von Gruber äußerst gut, was sich schon im letztjährigen Feature mit Casper deutlich gezeigt hatte. Das Problem von „Zores“ ist vielmehr, dass es seine 80er-Reminiszenzen zwar beibehält, diese aber auf kuschlig weichen Neue-Deutsche-Welle-Pop auslagert. Das ist kein Witz: Das zweite Drangsal-Album enthält teilweise Songs, die selbst Oldie 95 zu peinlich wären. Allen voran preschen da die schrecklichen Single-Auskopplungen „Turmbau zu Babel“ und „Magst du mich (oder magst du bloß noch dein altes Bild von mir)“, die musikalisch und textlich so seicht wie die Gezeiten in einem Gartenteich sind. Und so muss man sich beim „Genuss“ von „Zores“ stets bemühen, Drangsal nicht versehentlich mit der frühen Version von Farin Urlaub oder gar einer weniger flippigen Blümchen durcheinanderzubringen. Dabei verspricht das Intro „Eine Geschichte“ noch mit großem Pomp eine geradezu epische Platte. Stattdessen beschwert sich Gruber in „Weiter nicht“, dass die heutige Musik nicht mehr das sei, was sie früher einmal war. Nun, jetzt ja scheinbar irgendwie doch, aber geil ist das trotzdem nicht.

Immerhin fängt sich „Zores“ zumindest auf seiner zweiten Hälfte wieder etwas und übertüncht seine kitschigen Grausamkeiten wenigstens mit einer Spur Dark Wave. So klingt „All The Poor Ships At Sea“ mit seinen tiefen Gitarren-Arpeggios wenigstens wieder ein ganz bisschen edgy, obwohl es letztendlich auch nur aufgehübschter Semannsgarn ist. „ACME“ wird zum Schluss sogar noch einmal regelrecht noisy und erinnert kurz an das, was „Harieschaim“ vor gar nicht allzu langer Zeit noch so gut gemacht hatte. Man könnte nun argumentieren, dass „Zores“ wenigstens etwas zurückholt, was wirklich lang keiner gemacht hat, aber das verschimmelte, dreißig Jahre im Vorratsschrank vergessene Graubrot will ja nun auch wirklich keiner haben. Da kann Drangsal noch so oft „Ich lieb‘ dich so“ skandieren, liebenswürdiger oder weniger enttäuschend wird „Zores“ dadurch nicht.

Fazit

3.8
Wertung

Wenn es nicht Drangsal wäre, könnte man "Zores" auch einfach schulterzuckend ignorieren. So aber bleibt es das bittere Zweitwerk eines jungen Künstlers, der eigentlich als hoffnungsvoller Newcomer galt. Immerhin lässt das Finale der Platte darauf beten, dass Max Gruber sich noch nicht vollends aufgegeben hat und sich hier nur deutlich verkalkuliert hat.

Jakob Uhlig