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Die Kreatur und ihr gleichnamiges Debüt:True Crime

Die Dunkelheit fasziniert den Konsumenten seit jeher: Ob als Podcast vertont, auf der Bühne inszeniert oder cineastisch aufbereitet – Kulturgüter des „True Crime“-Genres erfreuen sich speziell in jüngerer Vergangenheit wachsender Beliebtheit und vermeintlich unauffällige Mitbürger ergötzen sich plötzlich ungeniert am Leid anderer.

An ebenjenem Leid, verursacht durch menschliches Handeln, arbeiten sich auch die hier kooperierenden Musiker Zeit ihres musikalischen Schaffens ab. Beherrscht jemand die Dunkelheit und ihre Begleiterscheinungen (sprechen wir in diesem Kontext ausnahmsweise nicht von Ozzy Osbourne), dann sind es nun einmal Dero Goi und Chris Harms. Lord Of The Lost und Oomph! lassen standardmäßig das lyrische Ich mit dem jeweiligen Frontmann verschmelzen, was der künstlerischen Intention noch mehr Ausdruck verleiht. „Panoptikum“ profitiert sicherlich von der kumulierten Szenekenntnis, stapft aber zuweilen auch in so manches vermeidbares Fettnäpfchen.

Beginnt man mit den Sonnenseiten der Platte, so erreicht der „Goldene Reiter“ mühelos einen Platz auf dem Siegertreppchen. Ausgerechnet ein Bonus-Song und musikalisches Cover von Joachim Witt überzeugt auf ganzer Linie. Ob dies für oder gegen „Panoptikum“ spricht, darf an dieser Stelle jeder selbst entscheiden. Fakt ist, dass dieser Klassiker deutschsprachiger Popkultur die Stärken der beiden Musiker perfekt miteinander kombiniert. Zwischen Gesellschaftskritik und vielschichtigen persönlichen Störungen wird es mit Sicherheit schwierig, diesen Song aus den eigenen Synapsen zu verbannen. Speziell die weiteren, wohlplatzierten Überraschungen wissen von sich zu überzeugen. Dazu zählen beispielsweise „Glück auf“ und „Durch die Nacht“. Ersterer offeriert akustische Reggae-Vibes, während „Durch die Nacht“ glatt als Fortsetzung von Peter Maffays Tabaluga-Epos durchgehen könnte. Derart poppig und nahezu lebensbejahend hätte man die „Die Kreatur“ bei ihrer Ankündigung sicherlich nicht erwartet. In obskurer Art und Weise macht sich eine trügerische Harmonie breit, die natürlich im weiteren Verlauf des Albums ad absurdum geführt wird. Dazu trägt nicht zuletzt der Titeltrack bei. Tiefdüstere Lyrics, treffsicheres Drumming und perfekt abgestimmte Stimmfarben machen einen würdigen Repräsentanten dieses Debütwerks aus. Gleiches gilt für „Benutz mich“, „Untergang“ und „Gott verdammt“ als straighte Vertreter der Rock-Zunft. Auf diesem Level dürfte es weitergehen.   

Leider sind viele weitere Tracks recht erwartbar und klischeebeladen. Die „MenschMaschine“ könnte ebenso aus Alex Wesselskys Feder stammen und beschwört typische NDH-Schockmomente, die im Jahr 2020 einfach nicht mehr so recht schocken. Kälte, Härte, Gottlosigkeit? Findet man auch in vielerlei minderqualitativen TV-Formaten. Auch bei „Kälter als der Tod“ (2. Vorab-Single) klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein simples Stück Musik, das einzig durch seine unheimliche Grundstimmung punkten kann. Über den Text bzw. die sprachlichen Bilder muss man nicht viele Worte verlieren. „Unzertrennlich“ ist ein pathetischer Lobgesang auf zweifelhafte Freundschaftsverhältnisse und „2 100%“ zelebriert die eigene Strahlkraft. Selbstbewusst, aber eben allzu typisch und allzu glattgeschliffen.

Letztlich sollen noch zwei Besonderheiten in ihr wohlverdientes Rampenlicht gerückt werden: „Was mir am wichtigsten ist“, würde man im Profisport als Finte bezeichnen. Die bewusst falsch gelegte Fährte führt eben nicht zu einer kitschigen Beziehungsballade, sondern behandelt den Konsum von Drogen als Ausflucht aus dem gesellschaftlichen Rahmen. Touché! Auch „Schlafes Braut“ ist gut und gerne als Trickspiel zu verstehen. Die schunkelnden Bierzeltklänge sind bedeutend eindrucksvoller, als sie zunähst erscheinen.Trotz all der Jahre am Markt sind die beiden Szenelieblinge weiterhin in der Lage, Neuschöpfungen zu kreieren und Bestehendes zu optimieren. Das eigens benannte Wunschkind kann die selbst gesteckten Maßstäbe allerdings kaum auf ganzer Strecke aufrechterhalten, sodass letztlich ein ambivalenter Eindruck bestehen bleibt.

Fazit

5.7
Wertung

Aus meiner Sicht muss „Die Kreatur“ weiter reifen, oder sie wird auf kurz oder lang vom hart umkämpften Markt verschwinden. Hinter die Existenzberechtigung setze ich im Angesicht der strahlenden Hauptprojekte ein kleines Fragezeichen - klein, weil viele gute Ansätze enthalten sind und man sich etwaige Peinlichkeiten verkneift.

Marco Kampe