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Die Heart und „Vorbilder“: Authentisch aus der Umkleidekabine

„Vorbilder“ ist eine beeindruckend produzierte Fortsetzung der „Monument“-EP, welche vor einem Jahr erschien. Mit der Ausdehnung des neuen Soundgewands auf Albumlänge tun sich Die Heart insgesamt einen großen Gefallen.

Bereits vor einem Jahr erschien die „Monument“-EP, welche drei überraschend wohlklingende Songs enthielt. „Monolith“, „Unser Leben“ und „Alles Was Du Wolltest“ finden sich allerdings auch auf dem groß angekündigten Longplayer „Vorbilder“, sodass die Hörerschaft nur neun neue Tracks (acht, wenn man das kurze Pianonachspiel außer Acht lässt) erwarten. Doch diese neun Tracks haben es mitunter mächtig in sich. Von maximalem Popappeal in „Eins“ bis zu richtigen Brechern wie „Marschieren“ bieten Die Heart hier endlich die ganze Bandbreite ihres Könnens. Die Band schafft es jedoch nicht immer den fulminanten Rahmen, den sie sich mit ihren Singles gesetzt hat, auch sinnstiftend zu füllen. Textlich werden vielerlei Themen behandelt. Von Freundschaft, verklingender und bereits vergangener Liebe bis hin zu Selbstfindung und dem sich Befreien ist alles dabei. Aber die Nordlichter setzen auch ein nicht zu verachtendes Statement gegen den anachronistischen Zeitgeist des Rechtsrucks.

Ein raffiniertes Songwriting, das Gegenteil von Ideenarmut und eine, für eine Band dieses Kalibers, mächtig fette Produktion machen „Vorbilder“ mit zwei, drei Ausnahmen zu einem professionellen Schmankerl der deutschen Szene. Schrieb man die Texte früher noch auf Englisch, ist „Vorbilder“ vollständig in der Muttersprache der Hamburger gehalten. Sieht man von Zeilen wie „Doch dein innerer rebellischer Punk wurde gefressen von 'nem Monster aus dem Schrank“ oder „Du hast Hoffnung, ich nur Rhymes“ mal ab, bedienen sie sich dieser mitunter auch eingängig und eloquent.

Ihr gewohnt harter Gitarrensound und Sänger Niels' Kreischen wechseln sich auf „Vorbilder“ mit melodisch-poppigeren Refrains ab. Wie nach der EP „Monument“ bereits zu erwarten war, zieht sich das Produktionsgewitter in Form von elektronischen Klang- und Drum-Elementen durch das ganze Album. Aber auch die Vocals haben eine gute Dosis Effektspielerei abbekommen.

Der passend gewählte erste Track ist „Alles Was Du Wolltest“, den der aufmerksame Fan bereits von der erwähnten Promo-EP „Monument“ kennt. Ein erster Höhepunkt des Albums ist „Eins“, ein vom Klargesang dominierter Titel, dessen schmerzliche Grundstimmung im Klangbild perfekt transportiert ist - und Jonas von den 8kids singt auch mit. Wie ein heiserer Papagei wiederholt er, was Bassist Nille im Vordergrund vorträgt und fügt ab und an einen reimenden Gedanken hinzu. Wenn man ehrlich ist, lebt „Eins“ von seinem unverschämt eingängigen Chorus. Nicht unerwähnt bleiben darf aber das zugehörige Video, in welchem das Quartett wirklich gute Bilder zur Musik findet.

Den nächsten Hit feuern Die Heart mit „Licht“ raus: eingängiger Text in schöner Melodie auf einem absolut headbangbaren Rhythmus. Dieser Song bleibt definitiv hängen, wenn man das Album in Gänze durchhört. Danach wird es jedoch erstaunlich dunkel und erst „Monolith“ ragt aus der unerwarteten Tiefflugkurve zum Ende hin heraus. „Schmerzlichen Glückwunsch“ wirkt mit seinem Reggea-Flair wenigstens noch sekundenweise unterhaltsam, aber schafft es wie „Zeitschatten“ nicht aus der Phrasendrescherei heraus. „Was Du Liebe Nennst“ findet in der Track by Track Erklärung bestimmt nicht ohne Grund keinen Kommentar. Das kurze Klaviernachspiel „Abschied“ ist irgendwie das Äquivalent zu Adam Angsts „Der Beginn Von Etwas Ganz Großem“, wirkt es doch etwas wie das fünfte Rad am Wagen.

Mit „Vorbilder“ bewältigen Die Heart den Spagat vom Nerv der Zeit zum Nervigsten der Zeit. Die Heart treffen auf „Vorbilder“ meistens den Nagel auf den Kopf, aber auch mal im weißen Sneaker die Schlammpfütze. 2019 muss scheinbar jede modern klingende Platte auch im Bereich der härteren Gitarrenmusik – ohne nostalgische Gefühle – mit Synthie-Elementen und digitalen Panflöten durchzogen sein. Insbesondere in „Gezeiten“ geht dieser Schuss in Eskimo Callboy Manier nach hinten los. Die elektronischen Percussion-Elemente sind auf „Vorbilder“ jedoch wohl platziert und dezent gestreut, sodass sie an keiner Stelle negativ auffallen. Insgesamt belegt dieses Album aber ohne Weiteres, dass Die Heart nicht bloß durch einen glücklichen Zufall die Bühne mit Szenegrößen wie Caliban oder Venues teilten.
 

Fazit

6
Wertung

Mit „Vorbilder“ liefern Die Heart stattlich ab. Auf Albumlänge kann einem der von DJ-Effekten durchsetzte Sound gut und gerne mal auf die Nerven gehen, die Highlights „Alles was du wolltest“, „Licht“, „Monolith“ und „Eins“ stellt das aber nicht in den Schatten.

Merten Mederacke