Desasterkids und „Superhuman“ - Revival der Jahrtausendwende

Das vorliegende Album der Desasterkids richtet sich an die Kinder der 1990er Jahre. Viele Helden der Jahrtausendwende sind wahlweise inaktiv oder weit von der eigenen, musikalischen Herkunft entfernt. „Superhuman“ stemmt sich gegen die Ernüchterung.

Dass seit dem Debütalbum „Sex, Beer & Breakdowns“ einiges an Varietät und Reife in den Sound der Berliner Formation eingekehrt ist, schadet keineswegs. Es ist zweifellos ein Wagnis, mehr zu liefern als möglichst zahlreiche, möglichst tieftönende Breakdowns, die mit möglichst inhaltsleeren Phrasen der letzten Party den größtmöglichen Einheitsbrei darstellen. Doch ebenjenes Wagnis zahlt sich aus.

Im Fall von „Walking Alone“ wünscht man sich insgeheim ein Feature mit Chester Bennington. Selten werden einzelne Textpassagen derart gelungen in Szene gesetzt. Intensität und Ausdrucksstärke sind eine wesentliche Stärke der Desasterkids, die in „Bulletproof“ ihre nahtlose Fortsetzung findet. Man nimmt sich einiges vor, irrt im Verlauf der 227 Sekunden auf mitreißenden, musikalischen Umwegen und sendet dabei unverhohlen Liebesgrüße an prägende Musiker des modernen Metals. Anfängliche Synthies im Stile von Bring Me The Horizon weichen nachdenklichen Zeilen in den Strophen, die sich dramaturgisch zunehmend aufbauschen. Letztlich entlädt sich die Energie in Disturbed-Manier.  

Zur Halbzeit entwicht man dem Alternative-Metal. „One Of Us“ ist, bei aller Neutralität, eine wahnwitziges Unterfangen. Wahnwitzig deshalb, weil eingestreute Störsignale und wiederkehrendes Rauschen mit dem nahezu pausenlosen Screaming eine hochaggressive Verbindung eingehen. „Pentagram“ stellt sich pflichtbewusst hinten an und übernimmt die identischen Trademarks.

„Oxygen“ wartet mit keiner lyrischen Neuerfindung auf, doch trifft dem Anschein nach einen noch immer (über-)empfindlichen, gesellschaftlichen Nerv. Ausladende Hass-Kommentare zu dem vorab veröffentlichten Musikvideo zeigen, dass selbst die Metalszene, welche der Weltoffenheit seit jeher einen hohen Stellenwert zuschreibt, beim Thema Homophobie einiges nachzuholen hat.

Zwischen stellenweise dahinplätscherndem Durchschnitt („Dark Days“) bleibt mit „Dead On The Inside“ schlussendlich Freiraum für eine Powerballade, die ihrerseits jedoch ebenfalls in schattiger Blässe verschwindet. „Chasing Ghosts“ geht als Rausschmeißer ambitionierter zu Werke und rundet die 40-minüte Spielzeit grundsolide ab.

„Superhuman“ ist letztlich eine Einkaufstour durch das vergangene Jahrzehnt, die existierenden Einflüssen einen zeitgemäßen Anstrich gönnt. Es bleiben abwechslungsreiche Harmonien und inhaltliche Polarisation. Die gelungene Weiterentwicklung einer vielversprechenden Band. 

Fazit

7.2
Wertung

Für mich eine durchaus lebendige Erweiterung der Sammlung, die vermutlich auch im Live-Kontext zünden dürfte.

Marco Kampe