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Dendemann und „da nich für!“: Begabter Hütchenspieler

Das Publikum im richtigen Moment überraschen. Eine Wendung herbeiführen, mit der wirklich niemand rechnen konnte. Sich am Ende ob der eigenen Naivität entlarvt fühlen - Merkmale des in den Fußgängerzonen dieser Welt praktizierten Hütchenspiels treffen allesamt auf „da nicht für!“ zu.

Eine objektive Plattenbesprechung sollte nach Möglichkeit nicht aus vorschnellen Lobeshymnen bestehen – mit „da nich für!“ fährt die noch immer unterrepräsentierte Ikone Dendemann jedoch derart massive Geschütze auf, dass dieser Vorsatz schnell obsolet erscheint. Kanonen (das Album) auf Spatzen (besagter Vorsatz) sozusagen.

Die Wahl der Songtitel ist nur eines der markanten Trademarks. Bereits vor dem ersten Durchlauf verspricht die umgangssprachliche norddeutsche Mundart mit so manch verschluckter Silbe ein überaus weitgefächertes Themenspektrum. Der haargenau richtige Moment, um auf „Keine Parolen“ zu verweisen. Mittels verhältnismäßig eindeutigen Fingerzeigs begeistert die Vorab-Single seit einigen Wochen Kritiker und Fans gleichermaßen. Ein guter Track zu einem wichtigen Zeitpunkt. Ein wichtiger Track zu einem guten Zeitpunkt.

Wie man es auch drehen und wenden mag, Dendemann überzeugt auf voller Distanz. Die gesellschaftspolitische Durchschlagskraft trifft auch auf „Zeitumstellung“ den (überstrapazierten) Nerv der Zeit. Ungewisse Aussichten umwehen jede noch so sicher geglaubte Institution. Ob Kirche, Staat oder Gesellschaft - an persönlicher Positionierung kommt das Individuum immer schwerer vorbei, die sichere Bank ist Geschichte. Zeit zu handeln! Die „Menschine“ ist gefragt. Sie steht für einen gewissen Hang zu Neologismen und Wortschöpfungen jeder Art. Das Besondere: Die Einfachheit des Begriffs selbst steht in keinem Widerspruch zur Komplexität der Aussage.

„Cogito ergo sum“ macht die Überlegenheit gegenüber so manchem Genrekollegen unmissverständlich klar. Wer, wenn nicht Daniel Ebel (bürgerlicher Name), könnte die im 17. Jahrhundert etablierte Weisheit derart problemlos modifizieren? Es scheint, als habe es seit Anbeginn der Zeit „Ich Dende also bin ich“ geheißen.

Der französische Philosoph René Descartes verblasst im Hintergrund. Dafür benötigt er weder Featurings mit überbewerteten Künstlerinnen und Künstlern, noch fragwürdige Schein-Streitereien (szenetypisch: Beef) zum Zwecke einer gesteigerten Medienpräsenz (Battle-Rap lässt grüßen). Wenn sich Dendemann mit anderen Kunstschaffenden zusammenschließt, dann nur um der Künste willen. So gibt sich Casper „Alle Jubilare wieder“ die Ehre, während ein gewisser Jan Philipp Eißfeldt (alias Jan Delay) auf „BGSTRNG“ von sich hören macht. Während ersterer primär durch düsteren Expressionismus Bekanntheit erlangt hat, so machte Jan Delay eine Vielzahl an Charakterwandlungen durch.

Doch egal ob vertonte Depression oder nasal vorgetragener Funk: Dendemann verbindet die Welten und holt das Bestmögliche aus ihnen heraus. Davon abgesehen ist es eine durchaus willkommene Abwechslung, Sprechgesang lauschen zu dürfen, der weder Schmähungen auf die Elterngeneration des Gegenübers vom Stapel lässt, noch Gewalt- und Drogenverherrlichung an oberster Stelle platziert. Die Fußstapfen von Samy Deluxe und Moses Pelham sind kein untragbares Erbe. Sie sind die Inspiration. Sie sind der Treibstoff. Von Spielereien wie „Sodom und Camora“ („Wo ich wech bin“) geht eine ungezügelte Schaffensfreude aus. Möchte man die (wohlgemerkt marginalen) Schwachstellen identifizieren, gerät am ehesten „Drauf & Dran“ vor den Kugellauf. Jener Abzug in der B-Note ist nichtsdestotrotz mehr Strohfeuer als Flächenbrand. Und wenn „Nochn Gedicht“ schließlich als Rausschmeißer verstummt, so bleibt definitiv zu hoffen, dass das nächste vollwertige Studioalbum nicht erneut geschlagene 9 Jahre auf sich warten lässt.

In Summe gestaltet sich „da nicht für!“ als ein wortgewaltiges, teilweise irrwitziges Manifest, welches trotz unüberhörbarem Sarkasmus die Ernsthaftigkeit der Botschaften nicht überstrahlt. In dieser Hinsicht schlägt Dendemann den aktuellen Output Alligatoahs um Längen. Glücksspiel kann süchtig machen, quod erat demonstrandum.

Fazit

8.2
Wertung

Der Sprung aus dem Nischendasein ins große Rampenlicht sollte hiermit besiegelt sein. Minimale Schwächen, maximale Stärken. Ein großes Album.

Marco Kampe