Reviews

Chiefland und “Wildflowers”: Autumn Leaves

Mit seinem Debüt-Album schafft das Göttinger Post-Hardcore-Quartett Chiefland einen atmosphärischen Soundtrack zur kalten Jahreszeit – und ist damit etwas spät dran.

Wie bereits die erste EP „To Part Means To Die A Little“ ziert auch die neue Chiefland-Veröffentlichung ein Cover im floralem Look, doch von Frühlingsstimmung ist weit und breit keine Spur. Stattdessen vermitteln die entsättigten Farben im Stile eines Polaroid-Fotos ebenso wie die Songs auf „Wildflowers“ ein unverkennbares Gefühl von rastloser Melancholie und einer sich anbahnenden Winter-Depression. Kein Zweifel: Chiefland holen den Herbst zurück.

Einzelne Titel wie “Indian Summer” oder “Northbound” lassen diesbezüglich schon eine gewisse Intention erkennen. Noch viel mehr aber lebt das Album von seiner atmosphärischen Grundstimmung, geschickt inszeniert durch melodische Riffs im Wechsel mit Spoken-Word-Passagen und emotionalen Screamo-Ausbrüchen. “Wildflowers” wirkt dabei wie aus einem Guss, Trennlinien zwischen Tracks verwischen bis zur Unkenntlichkeit und weichen zugunsten dynamischer Übergänge. Das geht etwas zu Lasten der Eigenständigkeit der Songs, prädestiniert die Platte aber für lange Listening Sessions an verregneten Sonntagen bei einem warmen Tee.

Und während man da so gemütlich an seinem Heißgetränk nippt, findet sich auch die Zeit für Reflexion über auseinandergelebte Beziehungen, den eigenen Stand im Leben, Fragen des Älterwerdens und die Bedeutung des eigenen Zuhauses. „Wildflowers“ erforscht all diese Aspekte des menschlichen Innenlebens mit ungestellter Emotionalität und Ehrlichkeit, offenbart Verletzlichkeiten und schert sich nicht um die Etikettierung des Pathetischen. Das wirkt gerade in Kombination mit den Shouts von Leadsänger Corwin durchaus ausdrucksstark, insbesondere während der gut verständlichen Storytelling-Passagen sollte man jedoch auf teils bösartig kitschige Phrasen gefasst sein, um beim genüsslichen Teeschlürfen nicht unvermittelt losprusten zu müssen.

An der Stimmigkeit der Platte ändert das freilich wenig und auch die Produktion muss sich hinter geistigen Vorgängern wie La Dispute oder Touché Amoré nicht verstecken. Das Debüt der Göttinger zeugt bereits von viel Reife und konzeptionellen Geschick und es wird spannend zu sehen sein, was aus dieser Ecke zukünftig noch zu erwarten ist.

Fazit

6.9
Wertung

„Wildflowers“ lebt von seiner dichten Atmosphäre und funktioniert am besten am Stück. Wer noch einmal in Herbst-Melancholie schwelgen will, bevor der Frühling vollends übernimmt, hat nun die Chance dazu.

Felix ten Thoren