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Bonaparte und "Was mir passiert": Neues Leben

„Punk ist tot“, findet zumindest Tobias Jundt alias Bonaparte. Passé ist der Exzess vergangener Tage, die hedonistischen Partynächte Berlins. An ihre Stelle treten afrikanische Rhythmen und deutsche Texte von radikaler Softness.

Die Entwicklung hatte sich abgezeichnet. Bereits das letzte Album „The Return of Stravinsky Wellington“ ließ nicht mehr viel hören von dem alten Bonaparte, dem kosmopolitischen Anarcho, der nebst einer durchgeknallten Bühnenshow mit viel nackter Haut und Tierkostümen auch immer seine allgegenwärtige Anti-Haltung zur Schau trug. „Was mir passiert“ markiert nun den nächsten Schritt, die Findungsphase nach dem großen Kater und den Versuch, die Person des Weltbummlers Jundt mit seiner Rolle als Familienvater in Einklang zu bringen.

Konkret sieht das dann folgendermaßen aus: Auf den Tipp eines Freundes hin reist Jundt nach Abidjan, der pulsierenden 4,7-Millionenstadt an der Elfenbeinbeinküste und nimmt mit dortigen Musikern ein Album auf. Zum ersten Mal mit fast ausschließlich deutschen Texten, aber unter unverkennbaren Einfluss der west-afrikanischen Musikkultur. Beides funktioniert ausgezeichnet. Markant synkopierte Rhythmen – in einem anderen Genre bereits bis zur Unhörbarkeit totgeritten (Stichwort: „Afro-Trap“) – fügen sich perfekt zu den Blaskapellen- und Elektroelementen, die man von Bonaparte bereits kennt. Bestes Beispiel ist hier der Opener „Warten“ oder das mit John Cage und Tom Waits Zitaten protzende „Lied vom Tod“, das Bohème-Herzen höherschlagen lässt.

Jedoch erreichen nicht alle der fünfzehn Songs diesen Standard. Insbesondere die zweite Hälfte des Album plätschert eher vor sich hin, sei es mit dem klischeebelasteten „Ins Herz geschlafen“ oder dem wirren „Ich koche“, bei dem Bonaparte den Titel bis zum Erbrechen wiederholt. „Apotheker Apotheker“ trägt dieses Vergehen bereits im Namen und selbst das sozialkritische und überraschend prominent besetzte „Big Data“ mit Farin Urlaub und Bela B will nicht so richtig aufgehen. Ob es nun am aufdringlichen Beat liegt, dem uninspirierten Refrain oder schlicht der Tatsache, dass Bonaparte seine Gäste ankündigt wie ein übermotivierter Stadionsprecher – letzten Endes steckt der Track hinter zurückhaltenden Songs wie „Château Lafite“ zurück, der morsche Lebensentwürfe und den Ausbruch daraus zum Thema hat.

Wie überhaupt das Credo des Albums die Flucht nach vorn ist, Flucht in den Moment und in ungewohnte Verletzlichkeiten. Die „neue deutsche Softness“ – sie hat auch Bonaparte erfasst, der sich damit irgendwo zwischen Bilderbuch und dem Bremer Rapper Tightill einreiht. Gefühle zeigen ist inn, weinen eines der letzten männlichen Tabus, die es zu brechen gilt.  Im Resultat entstehen so Songs wie „Weinbar“ oder das zugegebenermaßen etwas schleppende „Und mich“. Die Gefahr einer Weichspülung ist bei dieser Herangehensweise natürlich allgegenwärtig und „Was mir passiert“ bleibt davon auch definitiv nicht verschont. Gerade der von Jundts Töchtern mitgesungene letzte Song „Is OK (Lieben for Life)“ ist dann doch etwas zu viel der fühligen Happy-Clappy-Vibes. Nur... Wenn Punk tot ist, liegt dann nicht genau in dieser Offenbarung des inneren Kitsches das letzte Fünkchen Rebellion?

Fazit

5.8
Wertung

Bonapartes neuestes Werk ist eine gleichsam interessante wie logische Weiterentwicklung. Der Wechsel zur deutschen Sprache geht voll und ganz auf, kann aber die Längen in der zweiten Hälfte des Albums nicht kaschieren.

Felix ten Thoren