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Black Country, New Road und “Ants From Up There”: Post was?

Kaum eine musikalische Talentschmiede hat in den letzten Jahren Kritiker:innen und Fans gleichermaßen die Tränchen in die Augen getrieben wie die UK-Post-Punk-Szene um black midi, Black Country, New Road und Co. Und schon mit deren zweiten Album drängt sich die Frage auf, wie weit sich dieser Genrebegriff noch dehnen lässt.

Das Sextett aus Camebridgeshire in England bewies schon auf seinem Debütalbum eine beeindruckende musikalische Wandelbarkeit. Post-Rock und -Punk trafen auf jazzige Arrangements und experimentelle Weirdness-Eskapaden. Kombiniert mit waberndem Gesang, kryptischen Lyrics und kreativen Musikvideo-Ideen schafften Black Country, New Road in kurzer Zeit den Sprung zu Szenegigant:innen. Auf der neuen LP “Ants From Up There” machen die sechs Musiker:innen dem Titel alle Ehre, denn die Klänge auf dem zweiten Album der Band entbehren stellenweise jedem irdischen Ursprung. Wo auf “For the first time” noch von unbändiger Wildheit geprägt war, schafft es “Ants From Up There” der chaotischen Kreativität der Band eine innere Kongruität zu verleihen.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass Black Country, New Road jetzt eine geordnete Band sind. Konventionelle Songstrukturen sind nach wie vor rudimentär vorhanden, instrumental wie gesanglich changiert “Ants From Up There” zwischen einfühlsam und manisch, die Lyrics ähneln teils mehr schwammigen Äußerungen eines Schlafwandlers als zusammenhängenden Sätzen. Beeindruckenderweise wirkt diese Ästhetik an keiner Stelle so, als wäre sie kalkuliert oder gar erzwungen. Es ist vielmehr, als hätte dieses Album sich selbst geschrieben, so nahtlos greifen die einzelnen Elemente ineinander.

Wenn BC, NR von einer instrumentalen Holzbläser-Interlude (“Mark’s Theme”) in eine triumphale Hymne mit Piano-Intro (“The Place Where He Insterted the Blade”) überleiten, stellt sich unweigerlich eine Frage, die einst schon die Ärzte ins Grübeln gebracht hat: Ist das noch Post-Punk? Und ist das überhaupt wichtig? Wohl kaum. Allerdings darf man an dieser Stelle doch spekulieren, ob Bands wie Black Country, New Road sich nicht vielleicht soweit von den Konventionen irgendwelcher Genres entfernt haben, dass ein neues Präfix angebracht wäre. “Prä-” vielleicht? Oder gar “Proto-”? Prä- was, das wird uns die Band selbst beantworten müssen…

Fazit

8
Wertung

Furios energetisch und kompromisslos kreativ. Black Country, New Road gehören auch mit “Ants From Up There” noch zu den spannendsten Exportgütern des Vereinigten Königreichs.

Kai Weingärtner
8.9
Wertung

Vielleicht ist "eingängig" das falsche Wort, um diese Musik zu beschreiben, aber komischerweise entwickeln die Songs - gerade im Kontrast zu allen Brüchen und Experimenten - immer wieder richtige Ohrwurm-Momente. Auf "Ants From Up There" sind Black Country, New Road verdammt häufig sehr nah dran, zur weirdesten Hit-Maschine der aktuellen Musiklandschaft zu werden.

Steffen Schindler