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Awolnation und "Here Come The Runts": Kurserneuerung

Kurzlebiger Erfolg oder neuer Meilenstein einer Weltkarriere? Auf der neuen Awolnation-Platte liegen große Hoffnungen. Die kann „Here Come The Runts“ fast erfüllen.
Awolnation Here Come The Runts Cover

Zu sagen, der Erfolg von Aaron Brunos Synth-Rock-Brutstätte Awolnation wäre beispiellos, dürfte angesichts zahlreicher Geschichten von One-Hit-Wondern sicherlich übertrieben sein, weniger beeindruckend liest sich die Geschichte dieser Band dadurch trotzdem nicht. „Megalithic Symphony“, das vielfach beachtete Debütalbum der Gruppe, fand vor allem durch seine euphorisierende Single „Sail“ ein gigantisches Publikum. Der Song erhielt eine sechsfache Platin-Auszeichnung und präsentierte eine Band, die anders war als die schnell wieder vergessenen Hit-Erzeugnisse zahlreicher anderer Interpreten. Denn „Sail“ ist keine körperlose Fließband-Produktion zum schnellen Gelddrucken, sondern verkörperte im Gegenteil die Hoffnung einer Hörerschaft, die dem Rock den Sprung in ein modernes Zeitalter nicht mehr zugetraut hatte. Trotzdem konnten Awolnation diesen Hype im Anschluss nicht retten, das vier Jahre später erschienene Album „Run“ knüpfte an die Aufmerksamkeit seines Vorgängers bei weitem nicht an. Und so fällt „Here Come The Runts“ nun die unglückliche Rolle eines Wegweisers zu, der entweder steil nach oben oder in die sich auftuende Versenkung zeigen könnte.

Man merkt an dieser Stelle, dass Awolnation jenen Berg wirklich ganz unbedingt erklimmen wollen. Der Opener und Titeltrack des Albums wirft jedweden Kompromiss über Bord und verspricht mit opulenten Synthie-Streichern, akzentuierenden Bläsern, geschickten Tempowechseln und wilder Thrash-Einlage eine Menge. Das funktioniert absolut großartig und setzt ein Highlight der Platte gleich an den Anfang, hebt die Erwartungen aber auf ein Level, das „Here Come The Runts“ nicht ganz einhalten kann. Denn so gigantisch wie im Prolog wird das Album zu keinem Zeitpunkt mehr. Stattdessen probiert sich die Band in verschiedensten Klangumgebungen aus, die sich erstaunlich gut die Hand reichen. „Sound Witness System“ webt repetierende Synthie-Erhebungen hinter Spoken-Word-Passagen und Brunos pathetische Fronter-Röhre, „Tall, Tall Tale“ wirkt wie eine dynamisch aufgebaute und im Tempo entschlackte Interpretation des Rock’n’Rolls, in „A Little Luck… And A Couple Of Dogs“ klingen Awolnation für eine halbe Minute gar wie Simon & Garfunkel. „Here Come The Runts“ lässt seine Hörer gerade mit seinem Abwechslungsreichtum nicht im kalten Schauer der Monotonie stehen. Ausnahmslos gut funktioniert dieser Spannungsbogen zwar auch nicht, er wirft jedoch oft genug neue Aspekte ein, um das Interesse über die komplette Dauer der Platte zu wahren.

Bemerkenswert ist, dass Awolnation trotz ihrer Vorgeschichte auf ihrem dritten Album kaum die großen Hits suchen. Vielmehr ist „Here Come The Runts“ eine Selbststudie der eigenen Möglichkeiten, die den eingangs erwähnten Wegweiser der Karriereleiter nicht zwangsläufig nach oben richtet, dafür aber zahlreiche neue Gabelungen im internen Künstler-Pfad eröffnet. Vielleicht hat Aaron Bruno verstanden, dass er vermutlich kein zweites „Sail“ schreiben wird. Jetzt versucht er nur noch, mit seiner Band zu spielen. Und zum Glück ist die eine von den guten.

Fazit

6.9
Wertung

Awolnation machen sehr vieles richtig, ohne dabei perfekt zu sein. „Here Come The Runts“ trifft einen Zeitgeist, den die Band sich vor einigen Jahren selbst erschaffen hat – und fühlt sich entsprechend immer noch angenehm frisch an.

Jakob Uhlig