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Atlas Bird und "Escapia": Im Traum gefangen

Einst stürzte Ikarus ins Meer, weil er zu hoch hinauswollte. Atlas Bird passiert das zwar nicht, manchmal wagt sich die Band aber dennoch gefährlich nah an die Sonne.

„Ein Wesen zwischen den Welten mit Flügeln, die viel zu lang verharrten und Beinen, die schwer geworden waren. Zwischen Sehnsucht und Zuversicht breitet es nun mit neugewonnener Erhabenheit seine Schwingen aus und schwebt zu all den Zufluchtsorten, die sich in den Tälern versteckt hatten.“ Das ist nicht etwa die geschwollene, pseudo-deepe Lyrik einer Unheilig-Comeback-Single, sondern tatsächlich der Pressetext von Atlas Bird, einer jungen Indie-Alternative-Band aus Leipzig. Im selben Atemzug wird sich dann noch mit Muse, Biffy Clyro und U2 verglichen – David sah gegen Goliath noch nie chancenloser aus. Die Vorzeichen könnten also kaum gruseliger sein, doch zum Glück weiß „Escapia“, die Debüt-EP von besagtem Trio, dieses selbstgeschaffene Trümmerfeld zumindest halbwegs wieder zusammenzuflicken.

Denn tatsächlich wissen die fünf Songs dieser Platte viel Stilsicherheit vorzuweisen und taumeln eher selten an zu hochgegriffenen Vorbildern. „Isolate“ kommt im Songwriting zwar über grundlegende Generik nicht hinaus, weiß seinen dicken Stadionrock-Refrain aber dafür mit einer gehörigen Portion Streichern wenigstens ordentlich Prunk zu verleihen. Einen ähnlichen Weg verfolgt „Voyage“, das mit seinen synthetischen Chören aber eher an eine zu groß angelegte Folk-Metal-Hymne erinnert. „Halos“ ist dagegen ein klassischerer Alternative-Rocker, der ohne viel Schnick-Schnack, aber trotzdem mit deutlichem Hang zum Hymnus daherkommt.

Grundsätzlich verkehrt ist an „Escapia“ nicht viel, dennoch nagen all die pompösen Raketen-Abschüsse der EP immer wieder an der Grundsubstanz von Atlas Bird. Zum Brüllen viel Luft in den Lungen zu haben ist sicherlich nichts Verkehrtes, verkommt aber zur nihilistischen Atemübung, wenn dahinter keine Inspiration, sondern das bloße Mittel zum Zweck steckt. So verkommt das erste Werk der Band zu einer dann doch deutlich zu brav gestriegelten Ansammlung Orchestral-Protz, die ein Sound-Ideal verfolgt, das man gerade von jungen und unverdorbenen Newcomern eben nicht hören will. Das ist schade, denn mit „Escapia“ beweisen Atlas Bird gleichzeitig auch, dass sie das technische Potential besitzen, um mehr als nur eine Randerscheinung zu sein. So aber zäumen sie das Pferd von der falschen Seite auf und lassen es im sanften Trappelschritt voranlaufen, obwohl es eigentlich gerne im Galopp preschen würde.

Fazit

5.5
Wertung

Atlas Bird sind wie das Kind, das eigentlich Talent hat, aber das immer und überall gesagt bekommt und deshalb kaum noch klar denken kann. "Escapia" zeugt zwar von Selbstüberschätzung, ist aber grundsätzlich schon runder als viele andere Debüts. Ob da noch was kommt? Möglicherweise schon.

Jakob Uhlig