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Architects und „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“: Bringt mir Architekten

Ist die Überschrift dieses Artikels eine mittelsubtile Anspielung darauf, dass Architects mittlerweile wie eine Schmalspur-Version ihrer offensichtlichen Vorbilder klingen? Oder verbirgt sich dahinter gar die Suche nach überhaupt irgendeiner Kontur? Das zehnte Studioalbum der Brightoner liefert für beide Thesen erschreckend viele Argumente.
Architects The Classic Symptoms Of A Broken Spirit Cover

Wir leben im Jahr 2022 und in der völligen Reizüberflutung und Konzentrationsarmut, die die Ära TikTok in einen neuen Höhepunkt überführt hat, ist es als Künstler:in nicht gerade die leichteste Aufgabe, auch nur an irgendeinem Handylautsprecher für länger als 15 Sekunden kleben zu bleiben. Architects mögen mittlerweile nicht mehr die allerwildesten Jungspunde sein, aber den Vibe der Generation Z haben sie trotz allem gnadenlos durchschaut. Ihr neues Album schmückt ein motivloses Cover, der Titel ist ebenso wie diejenigen aller Songs komplett in Kleinbuchstaben verfasst, auf die bedeutungsschwangere Selbstmitleidsphrase im Albumnamen hätte XXXTentacion mächtig stolz einen bekifften Eineinhalbminüter-Part genuschelt. Kurzum: Architects sind offiziell die härtesten Edgelords. Und sie tun gut daran, immerhin haben sie sich im Metalcore etabliert, einer musikalischen Genre-Sackgasse, die seit locker zehn Jahren völlig totgetreten ist und der bei der selbst die erzkonservativsten Impericon-Kids langsam zu rallen scheinen, dass sie ihr ganzes Leben lang von gefühlten 40 Bands jede Woche das selbe Album serviert bekommen haben. Jeder Schritt also, der auch nur in irgendeine Richtung von diesem Genre weggeht, ist prinzipiell schon mal ein guter.

Architects hatten das schon vor einem Jahr kapiert und mit „For Those That Wish To Exist“ eine Platte gemacht, die zwar fett klang und deswegen auch irgendwie Spaß machte, aber mit völliger Transparenz eigentlich nur eine Stilkopie von „Sempiternal“ war, dem Album, mit dem Bring Me The Horizon vor rund einem Jahrzehnt die Ära Metalcore eigentlich mit dem besten Album ihrer Karriere und der Szene überhaupt beerdigt hatten. Diesen Weg kann man als Sprungbrett zu neuen Planeten natürlich gehen, aber so ganz ungefährlich ist er auch nicht. Denn auf ihren Nachfolgeplatten waren Bring Me The Horizon in dieser Reihenfolge zunächst ganz okay, dann eine schizophrene Mischung aus komplettem Geniestreich und Totalausfall und schließlich die totale Belanglosigkeit. Architects wollen dieses Risiko offensichtlich nicht eingehen und entscheiden sich deswegen für die sicherste Variante: Sie bleiben einfach auf der Stelle stehen.

Denn aller Edginess zum Trotz, die die Aufmachung von „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ irgendwie verkörpern möchte, ist Architects eines der zahnlosesten Alben des Jahres gelungen. Dass sich Sam Carter, ein Mann mit dem Monster-Organ eines Presslufthammers, mittlerweile auf das Klauen vom Oli-Sykes-Gestus beschränkt, ist dabei ein Teil der Geschichte, aber noch nicht die Ganze. Auf „Tear Gas“ wollen Architects dann plötzlich mal kurz Rammstein sein, aber auch nur, weil der monoton-breitarmige Duktus der Berliner so gut in das ganze uninspirierte Synthie- und Rhythmusgitarrendauerfeuer passt, das die Band ihrer Zuhörerschaft getreu nach dem Motto „Wenn es langweilig ist, dann machen wir es eben lauter“ als große Kunst zu verkaufen versucht. Der beste Moment auf „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ ist ernsthaft das nur wenige Sekunden andauernde Gitarrensolo in „A New Moral Low Ground“, nicht nur weil es tatsächlich für sich gut gelungen ist, sondern vor allem, weil es nach einer halben Stunde quälender Melodielosigkeit bei gleichzeitig geschmacklosem Sound-Aufplustern so unerwartet kommt.

Denn bei aller Treffsicherheit, mit der sich Architects am Gabentisch ihrer Vorläufer bedienen, muss man sich am Ende zwangsläufig fragen, was die Band selbt eigentlich noch ist. Wenn Sam Carter in „Spit The Bone“ nochmal im Vorbeihuschen sein mittlerweile eher Meme als ehrliche Emotion gewordenes „Blegh“-Signum hervorkramt, dann ist das tatsächlich der markanteste Moment, in dem man dieser Band noch irgendeine Art von Identität zuschreiben möchte. Wenn der Closer „Be Very Afraid“ schließlich nochmal ein bisschen mehr nach den früheren Architects klingt, dann ist das Signal eindeutig: Im Zweifel ist die Rolle rückwärts immer noch besser als ein tatsächliches Wagnis.

Fazit

3.5
Wertung

„The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ ist wie ein Subwoofer in der Wüste: sehr laut, aber nichts drumherum.

Jakob Uhlig