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Animals As Leaders und “Parrhesia”: Viel Lärm um viel

Wenn man die Worte “Rhetorik” und “Diskurs” hört, kommen einem wahrscheinlich sehr viele Begriffe in den Sinn. Fast alle von ihnen werden auf die eine oder andere Art mit Sprache zu tun haben. Animals As Leaders zeigen auf ihrem neuen Album, dass Austausch auch ohne Worte passieren kann.

Das titelgebende Konzept “Parrhesia” kommt aus dem altgriechischen und bedeutet so viel wie “alles sagen können”. Geprägt wurde der Begriff als Konzept der Rede- und Meinungsfreiheit durch den französischen Philosophen Michel Foucault. An dieser Stelle ein kurzer Exkurs: Foucaults wichtigster Beitrag zur Philosophie ist die Diskurstheorie. Diese besagt, dass der Mensch durch die Kommunikation untereinander seine Umwelt in Diskursen ordnet. Ein Baum existiert kognitiv für uns Menschen demnach nur deshalb, weil wir alle uns subtil darauf geeinigt haben, dass das Wort “Baum” das passende Diskurs-Konzept für das Ding Baum ist. Klingt erstmal sehr kompliziert, ist es auch. Deshalb stelle man sich Diskurse für diesen Zweck einfach als Räume vor, in denen Kommunikation stattfindet. Parrhesia ist nun, laut Foucault, eine Art von Diskurs, in der jemand seine eigene Meinung oder eine bestimmte Wahrheit sagt, ohne dabei auf rhetorischen Schnickschnack oder dergleichen zurückzugreifen. Parrhesia ist quasi die reinste, direkteste Form der Kommunikation, die Foucault für möglich hält.

Warum jetzt dieser hochtrabende Exkurs? Nun, münzt man das Konzept der Parrhesia auf die Musik von Animals As Leaders wird klar, dass hinter den wilden technischen Gitarreneskalationen und vertrackten Songstrukturen mehr steckt als ein einfaches “Guckt mal, was ich kann!” Die Band um Gitarrist Tosin Abasi ist offenbar der Meinung, dass man mit Musik eine Form der Parrhesia erreichen kann. Demnach geht instrumentale Musik quasi die Extrameile, indem sie jegliche Worte und verbale Kommunikation aus dem Fenster wirft und sich einfach auf die kommunikative Kraft der Musik verlässt. Und zumindest für Animals As Leaders funktioniert das ziemlich gut. “Parrhesia” (also die Platte, nicht die griechische Redefreiheit) entwickelt schon auf den ersten beiden Tracks einen derart hypnotischen Sog, dass man beim Hören schnell mal Zeitgefühl und Orientierung verlieren kann.

Das Trio schafft es über die gerade einmal 36 Minuten Spielzeit, 8-saitige Djent-Gitarren und knackige Double-Bass-Breakdowns auf geschickte Weise mit Streichern, Synths und einem Geflecht aus produktionstechnischen Effekten zu vereinen, dass dabei fast schon die Hörerfahrung eines Ambient-Albums herauskommt. Gitarren und Schlagzeug verlieren sich in immer schneller und schwindelerregender werdenden Schleifen, fallen mal rapide abwärts in bitterbösen Riffs, nur um sich im nächsten Moment zu episch-melodiösen Höhenflügen aufzuschwingen. Da “Parrhesia” einem auch wenig Zeit zum Luft holen zwischen den Tracks lässt, fließen die Songs konstant ineinander über, weshalb es auch müßig wäre, einzelne High- oder Lowlights herauszupicken. Dieses Album hört man am besten als das, was es ist. Ein Album, mit einem durchgehenden Konzept und einem musikalischen roten Faden. Die einzigen Schwachpunkte der Platte kommen zum Vorschein, wenn Animals As Leaders es sich zwischenzeitlich dann doch nicht verkneifen können, diesen technischen Metal-Breakdown jetzt doch noch reinzuquetschen. Noch ein bisschen mehr Atmosphäre und Raum, und “Parrhesia” wäre ein großartiges Album geworden. So ist es nur ein sehr gutes Album.

Fazit

7.7
Wertung

Weird-komplizierte Metalmucke mit kaum erkennbaren Songstrukturen, kryptischen Konzepten und creepy Musikvideos? I’m sold! “Parrhesia” bietet bei jedem Durchhören eine neue Facette zu entdecken, auch wenn dem Album ein bisschen weniger Showoff-Meddl durchaus gut getan hätte.

Kai Weingärtner