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Zeal & Ardor und „Stranger Fruit“: Blut auf den Blättern

Über Manuel Gagneux‘ „Black Black Metal“ wurde seit „Devil Is Fine“ viel geredet und viel geschrieben. Wie weit der Weg von der Innovation bis zur Perfektion dennoch war, zeigt „Stranger Fruit“, ein verstörender Cocktail aus Metal und Gospel - und vielleicht sogar das Opus Magnum eines der spannendsten Künstler unserer Zeit.
Zeal & Ardor - "Stranger Fruit" Cover

Im Februar 2017 sorgte ein bis dato völlig unbekannter Schweizerisch/US-Amerikanischer Musiker unter dem Pseudonym „Zeal & Ardor“ mit einem bis dahin mindestens genauso unbekannten Genre-Spagat für einige Furore: „Devil Is Fine“ kombinierte auf großartige Art und Weise amerikanische Spirituals, Blues und Black Metal. Das klang so unglaublich, wie man es sich vorstellt. Bereits 2016 im Internet vom Homestudio-Produzenten Manuel Gagneux veröffentlicht, wurden die meisten Kritiker und Musikliebhaber erst durch die Schweizer Metal-Journalistin Kim Kelly auf das neun Songs starke Debüt aufmerksam; eine physische Erstveröffentlichung folgte Anfang 2017. Die Idee: Was wäre, wenn Sklaven in den USA sich mithilfe von Black Metal und Satanismus gegen das aufgezwungene Christentum auflehnen – ähnlich, wie Norwegens Bewegung um die Entstehung des Genres als Rebellion gegen den Monotheismus in den 90ern? Dass dieses hochinteressante Gedanken-Experiment noch deutlich mehr kreativen Sprengstoff bietet, war abzusehen: Mittlerweile hat Gagneux eine komplette Live-Band hinter sich versammelt und veröffentlicht mit Zeal & Ardor nur ein gutes Jahr danach „Stranger Fruit“.

Sein Zweitwerk beginnt – Überraschung - mit einem stampfenden Worksong, dessen Melodiefetzen anfangs zwischen leidenschaftlichem Eskapismus und bitterer Realitätserkenntnis schwanken. Die große Stärke von „Devil Is Fine“ lag bereits nicht primär in der wahnwitzigen Genre-Kombination, sondern vielmehr in der Tatsache, dass Gospel und Black Metal sich so charmant liebkosten, als würden sie schon immer zusammengehören. Ähnlich ist es auch im „Intro“: Das High-Gain-Gitarren- und Double-Kick-Feuerwerk bricht so butterweich über das melancholische Summen Gagneux‘ herein, als hätte es nie woanders hingehört. Ein pompöser und selbstbewusster Album-Einstieg und einer, der die Erwartungen voll und ganz erfüllt, und das in jeder Hinsicht – das kann man nun positiv oder negativ bewerten.

Ab „Gravedigger’s Chant“ kommt dann der Blues ins Spiel: Keine Zeile ohne die Vintage-Verzerrung der knurrenden Stimme des Masterminds. Little Richie und Chuck Berry lassen grüßen. Zeal & Ardor erinnern dabei angenehm an den neuen Trend der bluesigen Soul-Sänger um Hozier oder Rag’n’Bone Man, wunderbar eingängig und mit atmosphärischen Gitarrenwänden unterlegt in „You Ain’t Coming Back“. Leider hört man zu jeder Sekunde die digitale Entstehung der Mikrofon-Simulation, was leider etwas Authentizität kostet. Ähnlich ergeht es dem Schlagzeug, welches an manchen Stellen doch arg programmiert klingt. Gerade in progressiveren Kompositionen wie „We Can’t Be Found“ hätte ein satter Band-Sound der Musik noch das I-Tüpfelchen gegeben – gemeinsam mit Converge-Gitarrist Kurt Ballou schafft Gagneux aber dennoch eine überwältigende Geräuschkulisse, die in „Waste“ etwa in anarchische Blastbeat-Ausbrüche, in „Row Row“ in einen weiten Black-Metal-Halftime, in „The Fool“ in E-Piano-Trance mündet.

Nicht weniger aufwühlend als die musikalische Untermalung gestaltet Gagneux die inhaltliche Aussage seines Gospel-Satanismus‘: Der Albumtitel dient als Anspielung auf die berühmte Billie-Holiday-Performance von „Strange Fruit“, die 1939 mit den bedrückenden Zeilen „Black body swinging in the southern breeze/strange fruit hanging from the poplar trees“ die Lynchmorde in den Südstaaten an der schwarzen Bevölkerung anklagte. Weniger mit solch beklemmender Symbolik, dafür mit vielschichtigen Gefühlsausbrüchen zwischen Resignation, hinreißender Leidenschaft und feurigem Anprangern gerät das Album in seiner Gesamtheit aus 16 Songs zur okkulten, klanggewaltigen Gesellschaftskritik: „Like a strange fruit, that's out of season/You are bound to die alone […] They're coming closer to kill us“.

„Servants“ etwa stampft voll bahnbrechender Wut voran, bis ein lakonischer Frontmann die Masse mit „Servants! Join Us!“ auf seine Seite zu ziehen versucht. Doch auch abseits des Genre-Spagats, der wie in „Ship On Fire“ meisterhaft rituelle Chöre mit Breakdown-Gitarren verbindet, bietet „Stranger Fruit“ einfach nur köstliche Kompositionen. Das Konzept ist gegeben, die besagte Thematik nur Mittel zum Zweck für Manuel Gagneux, um sich in diesem Rahmen frei und kreativ auszuleben. Die eskalativen Black-Metal-Passagen klingen wie das Feuerwerk des Teufels und stehen von der reinen Klanggewalt den skandinavischen Kollegen in nichts nach. Immer öfter lässt sich Gagneux überdies dazu hinreißen, seine Leidenschaft für die dunkle Musikrichtung voll auszuleben und verzichtet sogar oft auf die Brücke zum Gospel. Der Kirchenchor in „The Hermit“ sowie das elektronisch anmutende „Solve“ sind da willkommene Atempausen. 

Fazit

8
Wertung

Groovende Blues-Lines und sägende Black-Metal-Gitarren gehen eine satanische Hochzeit ein, grimmige Worksongs entladen ihre Wut in hinreißenden Screamo-Ausbrüchen, alles gespickt mit beißender, unterschwelliger Gesellschaftskritik. Manuel Gagneux wurde mit dieser Rezeptur berühmt und bringt sie für „Stranger Fruit“ auf ein derart hohes Level, dass man sich wundert, sie nicht mittlerweile permanent in der alternativen Musik zu hören. Die Innovation schlug bereits mit „Devil Is Fine“ ein, die Perfektion erfolgt hier.

Julius Krämer
8.8
Wertung

Zeal & Ardors Debüt bot enorm viele spannende Ansätze, mit diesem Monument von Album habe ich dennoch nicht gerechnet. Dieses besteht nicht nur in der enorm fortgeschrittenen Reife von Gagneux‘ Gedanken, sondern auch im erdrückenden Handlungskonzept, mit dem er seine satanischen Beschwörungen auflädt. Eine erschütternde Platte. Der Teufel klang noch nie bittersüßer.

Jakob Uhlig