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Stick To Your Guns und "True View": Hardcore in emotionaler Dunkelheit

Back To The Roots. Auf ihrem sechsten Studioalbum besinnen sich Stick To Your Guns wieder auf die inneren Werte und kehren ihre Seele nach außen. Mit „True View“ vertonen die Kalifornier ihren Schmerz und ihre Wunden im melodischem Hardcoregewand.

Emotionale Tracks sind im Hardcore keine Seltenheit, gibt es doch ein eigenes Genre namens Emocore. Doch Stick To Your Guns verzichten auf zerbrechliche Melodien und Teenie-Stimmen. Sie kleiden ihre Gefühle und ihren Schmerz in harten, melodiösen Core und geben tiefe Einblicke in ihren Geist. Scheiternde Liebe, Reue und Schmerz sind nur einige Themen, welche die Band in Noten presst und durch die Anlage jagt. Auch Schuldgefühle, Ängste und Verzweiflung sind essentielle Inhalte von „True View“.

Nahbar und nackt werden die Zeilen geschrien und lassen den Hörer, je nach Lebensweg und psychischem Zustand, Platz, um sich darin wiederzufinden.  Gute-Laune-Musik haben die Jungs nie gemacht, aber hier bleibt es von der ersten bis zur letzten Minute düster. Die Musik klingt so, als wäre man in sich selbst gefangen, kein Lichtstrahl schafft es durch die harte Hülle aus Depression und Angst, während die eigenen Stimmen im Kopf schreien und von den eigenen Mauern abprallen und zurückgeworfen werden.

Die Songs sind teils hart, aggressiv und laut, teils mit ruhigeren Episoden und sanfterem Gesang versehen, jedoch immer ehrlich offen und verletzlich geschrieben. Sänger Jesse arbeitet mit Clean Vocals und kehligen Screams, teils auch übereinandergelegt, was dem Sound mächtig Tiefe und Weite verleiht. Je nach Song und Moment klingt der Gesang verzweifelt und hilfesuchend, nur um im nächsten Moment kraftvoll und härtezeigend daherzukommen. Man merkt ihm die 14 Jahre Erfahrung im Genre definitiv an.

Unterstützt wird Jesse durch Backing Vocals und ab und an durch kleine Effekteinsätze auf der Stimme. Diese schaffen in den richtigen Momenten eine noch dichtere Atmosphäre und sind auch nur punktuell eingesetzt. Die Instrumentalisierung steht dem in nichts nach und zeigt die volle Bandbreite des (melodischen) Hardcore. Double Bass, verzerrte Gitarren, hämmernde Bassspuren und dunkle Melodien bis hin zu Balladen werden gekonnt umgesetzt und überzeugen mit Können und Leidenschaft. Eingespielte Soundsamples, wie beispielsweise eine traurige Frau bei „Through The Chain Link“, verdichten die Atmosphäre und stimmen auf die Songs ein.

Das US-amerikanische Quintett liefert auf dem neuen Album 13 kraftvolle und emotionale Tracks ab, die mit Tiefgang und Offenheit überzeugen. „True View“ ist kein Album für schöne Stunden, sondern ein schonungsloses Werk, das runterzieht und deprimiert. Begeisternd. Die Songs sind abwechslungsreich und überzeugen mit Songwriting und Ideenreichtum, wie die erwähnten Soundsamples und kleine Effektspielereien. Das Album lädt zum Mitleiden ein. Wer Musik für düstere Stunden mag, ist hier genau richtig aufgehoben. Am Ende der Nacht ist es immer noch Hardcore und das sollte man mögen. Aber es gibt nicht viele Bands, die ihre Gefühlswelt so gut und erbarmungslos dunkel wie Stick To Your Guns vertont haben.

Tourdates

Fazit

7.7
Wertung

Gefühlvoll, deprimierend und hoffnungslos. Emotionaler Melodic Hardcore mit Suchtgefahr.

Johannes Kley
8.1
Wertung

Stick To Your Guns liefern hier ein phänomenales Brett ab! Soviel Wut, Gefühl und Verzweiflung wundervoll verpackt in einer hervorragenden Produktion ergibt den Pflichtkauf für jeden Hardcore-Fan.

Lucio Waßill