Skindred und "Big Tings": Mut zur Selbstbekenntnis

„Big Tings“ ist das vielleicht ehrlichste Skindred-Album jemals – und das tut dem walisischen Vierer unheimlich gut.
Skindred Big Tings Cover

Presse, Band und Fans werden niemals müde, Skindred als visionäre Fusionskünstler im Spannungsfeld zwischen Reggae und Metal zu bezeichnen. Sechs Alben lang beschwor sich das Quartett auf diese Prämisse, der sie trotz durchaus qualitativem Material nie so ganz gerecht werden konnten. Tatsächliche Reggae-Einflüsse bekamen zahlreiche Ska-Punk-Bands einfach wesentlich besser hin, und so blieben diese bei Skindred immer eher eine Marginalität, die hinter brechenden Nu-Metal-Riffs stets zurückstecken mussten, im Marketing aber stets groß gemacht wurden. Kein Wunder also, dass sich in dieser Hinsicht auf dem mittlerweile siebten Album Ernüchterung breitgemacht hat, die aber nicht zur Resignation, sondern zu einer weitaus authentischeren Platte führt.

Denn „Big Tings“ ist tatsächlich das, was Skindred im Grunde schon immer hätten sein können – und möglicherweise auch hätten sein sollen. Sowohl mit Metal als auch mit Reggae kokettiert das Album nur noch am Rande, stattdessen präsentiert die Band hier bildgewaltigen und gerne mal tanzbaren Alternative-Rap-Trance. Die an dieser Stelle doch etwas aufgesetzt wirkende Reggae-Röhre packt Frontmann Benji Webbe nur noch in „That’s My Jam“ kurz mal aus, ansonsten singt und rappt er etwas konventioneller als gewohnt. Das mag man vielleicht als Defizit abtun, man kann aber auch feststellen, dass es dem wuchtigen Sound der Band tatsächlich auf eine andere Art und Weise schmeichelt. Wie eine komplette Wendung fühlt sich „Big Tings“ dabei nicht an, wohl aber wie eine natürliche Weiterentwicklung, die ohne große Highlights, aber im Gesamtklang gelungen ist.

Das neu gewonnene Soundbild lässt so sogar Platz für Songs, die zur Abwechslung mal nicht die Tanzfläche bedienen. Da wäre zum einen die im etwas undefiniert psychedelischen Soundnebel wabernde Powerballade „Tell Me“, und vor allem der Closer „Saying It Now“, den die Band schon seit längerer Zeit auf Konzerten spielt. Der Song spricht hinter präsentem, aber nicht überladenem Streicherteppich über Wehmut nach dem Tod eines geliebten Menschen. Zwar ist diese Studioversion des Tracks durch seine eher unspektakuläre Produktion nicht ganz so eindrücklich wie die seit bereits längerer Zeit auf Konzerten gespielte Variante, ein packendes Ausrufezeichen hinterlässt der Song als Schlusspunkt von „Big Tings“ dennoch. Nach vielen Jahren eher konservativer Progression wagen Skindred endlich den Schritt in neues Terrain – und dazu muss man die Band ohne Wenn und Aber beglückwünschen.

Fazit

6.7
Wertung

Ein wirklicher Hit gelingt Skindred auf "Big Tings" nicht. Dafür entwickelt sich die Band aber sinnvoll weiter und schafft so ein auffallend stimmiges Gesamtkunstwerk - das hätte ich den Walisern offen gestanden nicht mehr unbedingt zugetraut.

Jakob Uhlig