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Saltatio Mortis: „Brot und Spiele“ - Lagerbildung und Dämonisierung

Ihre jüngste Entwicklung hat in der wachsenden Fangemeinde von Saltatio Mortis eine Lagerbildung ausgelöst. Für „Brot und Spiele“ gilt es, beide Parteien am runden Tisch zu vereinen.

Das vorliegende Album könnte den Hattrick auf der Poleposition der deutschen Charts bedeuten. Schrittweise hat sich die Formation von mittelalterlichen Klängen losgelöst. „Punkrock mit Dudelsack“, „Tote Hosen/Broilers für Arme“ oder „Ausverkauf“ sind gängige Aussagen in den Social-Media-Kanälen. Als würde jene Kritik effektlos verhallen, beackert die Band auch weiterhin Mittelaltermärkte und historische Burgen. Die zusätzliche CD der Deluxe-Version bietet weiteres Futter für das Mittelalterherz. Stolze 26 Track streiten sich somit um die Favoritenrolle der Hörerschaft, wobei der Fokus dieser Besprechung auf der ersten Hälfte liegen soll.

Ob Dämonisierung in der (Gruppen-)Psychologie oder gemeinsame Feindbilder in der Politik: Polarisation kann mithilfe gemeinsamer Ziele überwunden werden. Folgerichtig wettert man in inzwischen erwartbarer Manier auf die zunehmende Verrohung der Gesellschaft („Besorgter Bürger“), rückwärtsgewandte Nationalisten („Europa“) und altbewährte Mittel der seichten Unterhaltung („Brot und Spiele“). Speziell letzterer Song sorgt durch dessen deftiges Riffing für eine gehörige Föhnfrisur, die wohl bis zum Ende der Gesamtspielzeit halten sollte - ein gelungener Titeltrack.

Im Wesentlichen widmet man sich dem klassischen Stadionformat. Hintergründige Chorgesänge und eingängige Melodien gepaart mit greifbaren Refrains: „Große Träume“ macht nach einem unscheinbaren Intro den Auftakt und ist ein Paradoxon zum Opener eines vorherigen Albums („Früher war alles besser“): Aus gespannter Erwartung auf die Zukunft sind Lobeslieder auf die gute alte Zeit erwachsen. Die eingangs erwähnten Quervergleiche zu deutschen Rockbands haben auch bei „Dorn im Ohr“ und „Ich werde Wind“ Bestand.

„Nie wieder Alkohol“ ist ein verschmerzbarer Ausrutscher, der zwar dynamisch und flott daherkommt, jedoch dermaßen belanglos ist, dass die Frage gestattet sei, ob er die absichtliche Antithese von „Brot und Spiele“ darstellt. Mit gutem Willen eine B-Seite. Dass jene Thematik auch humoristisch aufgebarbeitet werden kann, zeigt die Kooperation mit Osnabrücks beliebtestem Freibeuter: Mr. Hurley gar selbst gibt sich die Ehre, um der Platte einen karibischen Anstrich zu verpassen. Herauskommt das „Mittelalter“, schelmisches Augenzwinkern mutmaßlicher Live-Klassiker der anstehenden Tour. Ein wenig Spielraum verbleibt letztlich auch für Sagengestalten und Legenden: Die auf vielfache Weise dargebotene Geschichte der Brunhild entflieht der Komposition aus Trinkliedern, Politik und Nostalgie. Sie leitet gleichsam einen stilistischen Umbruch ein.

Wem Brunhild als mittelalterliches Trostpflaster nicht genügt, dem sei CD2 wärmstens empfohlen. „Heimdall“ als Vorab-Veröffentlichung oder das balladeske „Tränen des Teufels“ sind zwei gelungene, deutschsprachige Vertreter, doch das eigentliche Highlight bildet das Kollektiv der multikulturellen Einflüsse. Orientalische Tänze auf „Raghs-e-Pari“ und skandinavische Weihnachten („Mitt Hjerte Alltid Vanker“) wurden musikhistorisch betrachtet wohl eher selten auf derselben CD verewigt. „Drachentanz“, „Ad Digitum Prurigo“ oder „Marselha“ werden in Zukunft Roben und Rüstungen auf jedem MPS in Bewegung versetzen. Für ein möglicherweise erscheinendes Akustik-Live-Album („Manufactum IV“?) erweitert die Band ihr Repertoire eindrucksvoll.

Und insgesamt? Wenn Mittelalter und moderner Rock derart scharf unterschieden werden, könnte man die Formation auch in zwei voneinander unabhängigen Projekten fortführen. Natürlich haben Saltatio Mortis bereits in ihren Anfangsjahren Wandlungsfähigkeit bewiesen, wie beispielsweise durch die Abkehr von elektronischen Elementen, doch es bleibt, trotz bewährter Güte, ein fader Beigeschmack. Zumindest werden beide Lager ohne lästige Berührungspunkte wunschgemäß bedient.

Fazit

6.9
Wertung

Einem langjährigen Begleiter fällt es schwer, die wohlwollende Grundhaltung zu objektivieren. Dennoch: Die moderne Darbietung des Mittelalterrocks sagte mir mehr zu, als eine Separierung zwischen (Punk-)Rock und reiner Mittelaltermusik. Gelungen, aber kein unmittelbarer Schritt nach vorne.

Marco Kampe