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Nine Inch Nails und „Bad Witch“: Viel Lärm um viel!

Was passiert, wenn man Drum’n’Bass, Industrial, ein Saxophon und Einflüsse von „Twin Peaks“ und Bowie auf einem Album vereint? Diese Frage beantworten Reznor und Ross eindrucksvoll auf dem Abschluss ihrer 2016 begonnenen Trilogie und dem neunten Nine-Inch-Nails-Album „Bad Witch“.

Nine Inch Nails, eine Band, die den größten Teil ihrer Existenz nur aus Mastermind Trent Reznor bestand, waren immer sehr wandlungsfähig. Düsterer Industrial-Rock, atmosphärische Elektro-Werke und beinahe poppige Gitarren-Stücke wurden seit 1989 veröffentlicht und auch auf „Bad Witch“ erfindet sich Reznor mit Bandkollege Atticus Ross neu. Bereits die Vorgängerwerke „Not The Actual Events“ und „Add Violence“ bewiesen Abwechslungsreichtum und viel Mut, die bekannten Songwriting-Konzepte ein wenig hinter sich zu lassen. Erwartungsgemäß gibt es auf „Bad Witch“ auch wieder sehr viel, nur nichts, womit die Fans gerechnet hätten.

Eine Gitarre mit dem Maximum an Distortion und ein hämmernder Beat eröffnen das Album mit dem poetischen Titel „Shit Mirror“. Kurz danach kommt noch der verzerrte Gesang Reznors dazu, gefolgt von noch mehr Krach. In all dem Lärm lässt sich jedoch problemlos eine Struktur erkennen und auch wenn der verzerrte Sound anfangs ein wenig verschreckt, kommt das Lied beinahe poppig daher. Mittendrin gibt es sogar einen kleinen Mitklatsch-Breakdown, welchen Hannah Montana in einem düsteren Paralleluniversum nicht besser hätte machen können. Damit ist „Shit Mirror“ noch der einfachste und eingängigste Song des Albums, denn danach wird es noch lauter und abstruser.

Sei es nun „Ahead Of Ourselves“ mit seiner teils unverständlich verfremdeter Stimme und Drum’n’Bass-Beat oder „Play The Goddamned Part“, welches einen sicherheitshalber die Membran der Boxen checken lässt, da es schon destruktiv verzerrt klingt. Reznor und Ross haben sich offensichtlich ausgetobt und ihre Liebe zu Effekten nicht versteckt. Einige Stücke erinnern vermutlich nicht zufällig an die letzte Staffel der Serie „Twin Peaks“ von David Lynch und Mark Frost, in welcher die Band auch einen Gastauftritt hatte und das Lied „She’s Gone Away“ spendierte. Die Lieder klingen fremdartig und teils verwirrend, besonders „I’m Not From This World“, welches mit weißem Rauschen und hartem Industrial daherkommt. Dagegen wirkt das an den Sound von Reznors Idol David Bowie erinnernde Saxophon schon beinahe normal.

Wer Nine Inch Nails kennt weiß, dass selbst im größten Chaos der Musik Struktur und eine auf den ersten Blick vielleicht nicht hörbare Ordnung herrschen. So ist es auch auf „Bad Witch“ und wer sich die Zeit nimmt und mit obskuren und teils dämonisch klingenden Sounds kein Problem hat, entdeckt vielschichtige und durchdachte Lieder. Die Kombination all dieser Elemente schafft eine dichte, zwischendurch beklemmende, aber stets faszinierende Atmosphäre. „Bad Witch“ ist kein Album für die Arbeit oder als Hintergrundmusik geeignet. Die Lieder sind detailreich und verlangen volle Konzentration. Und wer sich dem hingibt, erhält ein lohnenswertes Hörerlebnis.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde ist das Album dann vorbei und benötigt wohl noch einige Durchläufe, um voll erfasst zu werden. „Bad Witch“ ist anders, progressiv, aggressiv und vor allem laut. All dies traf auch schon auf andere Alben der Band zu und doch setzt sich „Bad Witch“ deutlich ab. Drum’n’Bass-Elemente und obskure Soundkulissen inklusive Saxophon machen dieses Album zur interessanten und begeisternden Erfahrung. Fans von Nine Inch Nails sind es gewohnt, die Band mit jedem Album neu zu entdecken und doch hörte sich jedes Werk nach Reznor an. So auch hier. Der Gesang, wie verzerrt er teils auch sei und die Texte, kryptisch und persönlich, sind gewohntes Terrain. Auch die teils fremdartige Akustik ist nicht neu, sondern gehört zu jedem Album der Band.

„Bad Witch“ zeigt dahingehend keine Schwäche, sondern begeistert mit Mut zu Lärm und immensem Abwechslungsreichtum. In Kombination mit den EPs „Not The Actual Events“ und „Add Violence“ ergibt sich eine Zeitreise durch die Geschichte der Band, angefangen von den Tagen des destruktiven Industrials, über die elektronischeren und poppigeren 2000er-Jahre bis zum heutigen Tag. Und dort steht, laut und stolz, „Bad Witch“.

Fazit

8
Wertung

Was für ein Trip! Auch nach etlichen Jahren als Fan, schafft es Reznor mich noch zu überfordern und dann zu begeistern. „Bad Witch“ ist präsent und will Aufmerksamkeit, welche dieses Album auch verdient. Es ist vielleicht nicht das stärkste Werk der Band, aber definitiv ein gutes Album mit genialen Momenten.

Johannes Kley
6.2
Wertung

Man muss Nine Inch Nails dafür respektieren, dass sie niemals Erwartbares liefern. Funktionieren tut das trotzdem nur teilweise. Während ein "Shit Mirror" mit der rauschend-lärmenden Ästhetik von Klassikern wie "Wish" brilliert, bleiben die gesangslosen Elektronik-Progressionen der Platte zu blass, um wirklich zwingend zu sein. Im Resultat ist "Bad Witch" damit immer noch gut - aber definitiv nicht das stärkste Reznor-Werk.

Jakob Uhlig