Kyle Craft und "Full Circle Nightmare": Als noch alles besser war

„Full Circle Nightmare“ ist wie die alte Gitarre, die man beim Entrümpeln auf dem Dachboden findet: Etwas angestaubt und pflegebedürftig, dann aber noch genau so gut wie am ersten Tag.

Eigentlich sind Kyle Crafts rock’n’rollige Americana-Musical-Versatzstücke ein alter Hut. Spätestens seit der Rocky Horror Picture Show sollte solch glänzende Exzentrik eigentlich auf ihrem Höhepunkt angekommen und inzwischen vergraben worden sein. Craft lässt sich davon aber nicht abschrecken und verpasst der fast vergessenen Machart neue Flügel. Beste Grundlage dafür: Der unverwechselbare Charme des Sängers, der fast den Pathos eines Freddie Mercury gewinnt, ohne dabei je zu sehr over the top zu klingen. Federleicht tänzelt Craft durch einen Power-Chorus nach dem anderen, und tut das fast nie, ohne seinen jauchzenden Refrains noch einen abschließenden melancholischen Akkord zu verleihen. Wild schlägt diese Methode zum Beispiel in „Belmont (One Trick Pony)“ aus, das zum großen Finale in ein völlig losgelöstes Gitarrensolo mündet. Wesentlich resignierter funktioniert dagegen „Slick & Delta Queen“, eine Country-Ballade, die Craft mit seufzenden Hörnern anreichert.

„Full Circle Nightmare“ erfindet das Rad beileibe nicht neu, im Gegenteil, es greift sogar zu einem längst ausgedienten Modell. Kyle Craft geht diesen Schritt aber nicht aus Verzweiflung, sondern aus einleuchtender Inspiration. Denn jeder Song, jede Note und jedes noch so kleine Element auf dem zweiten Album des US-Amerikaners strotzt vor purer Lebenslust, Leidenschaft und Crafts ehrlicher Liebe zu dem, was er tut. Die Musik des Sängers gibt einem genau dadurch niemals das Gefühl, eine Platte aus vergangenen Dekaden eingelegt zu haben, sondern weckt im Gegenteil den Wunsch, in einem Zeitalter irgendwo abseits von quäkender Trap-Musik und Mütter fickenden Kollegahs zu leben. Spätestens, wenn „Bridge City Rose“ die träumerische Mundharmonika auspackt, gibt es kein Entkommen aus Crafts verführerischem Kosmos mehr.

Fazit

6.6
Wertung

Nachdem Sub Pop einst den Grunge groß gemacht hat, wagt sich das heroische Label nun mit einem Künstler vor, der noch viel weiter zurückgeht. Das Ergebnis ist - man mag es kaum glauben - unheimlich erfrischend. Mut zahlt sich eben oft aus.

Jakob Uhlig