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Island und „Feels Like Air“: Blinde Balance

Da sich plötzlich jede Band einredet Indie machen zu können, wird der Markt zwangsläufig zugemüllt. Die Briten um Island hingegen wissen worauf es ankommt und mixen auf ihrem Debüt „Feels Like Air“ gekonnt die Richtungen und Strömungen. So muss das.
Island Feels Like Air Cover

Die erste Assoziation, als „Feels Like Air“ zum ersten Mal durchgelaufen ist, war eine absolut abstruse: Burning Down Alaska. Der Vorgänger von Alazka. Bei genauerem Hinhören ist das aber gar nicht so absurd. Klar, man nehme das harte Schlagzeug des Metalcore-Sextetts weg, die Shouts und auch die Basslinie. Was dann bleibt, ist die hallige stets melodiöse Gitarre. Das Interlude von „Values and Virtues“ würde hier eins zu eins draufpassen. Aber was machen Island, dass die Gitarrenlines von einer New-Wave-Hardcore-Band auf ihr Album könnten?

Gar nichts Besonderes, und das macht es so besonders. Hallende, richtiggehend verträumte Gitarren, die teilweise improvisiert klingen, wie zum Beispiel in „God Forgive“. Außerdem balancieren Island unglaublich behände zwischen Indie-Pop und Indie-Rock. Sie bedienen sich aus beiden Richtungen und basteln einfach drauflos. Man nehme beispielsweise „Try“. Eine ruhige Nummer, die sich selbst bewusst klein hält. Oder auch das hochemotionale „The Day I Die“, in dem Sänger Rollo das erste Mal intensiv seine Stimme erhebt und beinahe schreit. Was er schreit geht unter die Haut: Man hört wohl die letzten Nachrichten eines Selbstmörders, mit Verzweiflung, dann aber auch mit manischer Ruhe. Unheimlich gute Nummer.

Dann sind da aber auch absolut minimalistische Nummern wie „Feels Like Air“, das vier Minuten lang ohne Gitarre auskommt. Und auch als die Gitarre für eines der langsamsten Solos überhaupt einsetzt, bleibt der schlichte Charakter des Songs bestehen. Mit diesem fast zweiminütigen Solo verläuft sich der Track dann auch sehr schnell in Stille.

Zum Abschluss des Albums gehen Island sogar noch einen Schritt zurück und Rollo lässt sich nur von akustischer Gitarre begleiten - ein Sprung zu den frühesten Anfängen der Band, als man sich noch als kleine Akustikcombo im fensterlosen Proberaum traf. Ob mal offen gezupft oder gedämpft angeschlagen, auch in diesem kleinen Gitarrenspiel kratzt die Band an Rock und Pop, zügelt sich jedoch wieder selbst und nimmt den winzig schmalen Mittelweg, bis sich das Spiel im Nichts verläuft und verstummt.

„Feels Like Air“ ist ein Album, das man problemlos als Indie-Aushängeschild nehmen kann. Pop und Rock, kein Pop und kein Rock, Island balancieren nicht nur blind auf diesem Drahtseil, sie schlagen regelrecht Saltos darauf. Ein Muss für Indie-Fans und die, die es werden wollen. Aber auch für die, die es nicht werden wollen.

Fazit

7.6
Wertung

„Feels Like Air“ ist Balsam für geschundene Seelen in hektischer Zeit. Die Platte entschleunigt und ist auch deshalb so wertvoll. Und wie verdammt kann man in so ruhiger Musik eigentlich schreien, ohne dass es auffällt?! Teufelskerle!

Moritz Zelkowicz