Hey Ruin und "Poly": Beklemmende Verzweigung

Das Wort „Poly“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet "viel" oder "mehrere". Die Band Hey Ruin aus Köln hat ihr neustes Album nun so betitelt. Übertrieben haben sie damit nicht.

Verzerrt und rau startet „RAM“ das Album und gibt den Ton für die folgenden acht Songs an. Leichte Kost gibt es hier nicht. Die Flüchtlingssituation wurde schon mehrfach in Songs besungen, jedoch nicht so. „Das sind Lager, kein Zuhause. Es ist doch keine Hilfe, nur Betäubung.“ ruft einem der Sänger entgegen und hält dem Hörer den Spiegel vor. Begleitet wird er dabei von rotzigen Gitarren, tiefen Bassspuren und Drums in einer Mischung aus verspieltem Post-Hardcore und Punk. Der erste Schlag in die Magengrube sitzt.

Getrieben geht es weiter und die nächsten Lieder stehen dem Opener in Sachen Schwermut in Nichts nach. Mal lyrisch feingeistig, mal beinahe gerade heraus, wird hier besungen und beschrien was die Welt so kompliziert und schmerzhaft macht. Gesellschaftskritisch und persönlich aufwühlend tragen die Worte durch die Songs. Meist einstimmig, doch ab und an auch mit einer Zweitstimme unterlegt, mal gesungen, mal rau geschrien, doch stets mit viel Gefühl. Die Texte erinnern an den Anspruch der Hamburger Schule. Kein plumpes Raushauen von Phrasen, sondern durchdachte Zeilen und Metaphern. Nichts ist einschichtig und kein Thema wird eindimensional betrachtet. Sei es nun die Flüchtlingssituation oder Liebe - Hey Ruin betrachten die Medaille von allen Seiten.

Musikalisch treibt die Band irgendwo zwischen 90er-Jahre Emocore, rauem Punk und modernen Post-Hardcore-Elementen. Verspielte Gitarren drehen plötzlich auf, jagen hart durch die Boxen und kippen den Song in eine völlig andere Gefühlswelt. Bei „Magneto“ wurden beispielsweise alle Regler auf Anschlag gedreht, alles rauscht und brennt sich in den Kopf, was der Wut des Songs nur noch mehr Ausdruck verleiht. In „Smells Like Teens“ überwiegen die verspielten Emocore-Gitarren und mehrstimmigen Parts und unterstützen die Tragik der Worte nur noch mehr. Der Sound ist auch ansonsten eher rau und ungeschliffen, passt also perfekt zur Gefühlswelt des Albums. Kleiner Extras wie eine Trompete in „Über dem Abfluss“ runden das Bild ab. Musikalisch liefern Hey Ruin, wie auch schon textlich, keine leichte Kost. Technisch einwandfrei und stark in der Wirkung haben sie hier jedoch eine gelungene Mischung geschaffen.

Vielfältig, vielschichtig und viel zu nah an der Wahrheit. „Poly“ ist definitiv sehr viel und macht sehr viel richtig. Politisch, gefühlvoll und anspruchsvoll. In einer unruhigen Zeit, sucht jeder nach Antworten auf Fragen, für die es vielleicht keine gibt. Getrieben und rastlos treiben die Menschen umher. Hey Ruin haben genau dieses Gefühl vertont. Ein Album, welches wie das uneheliche Kind zwischen der Rauheit des Punk, der Verspieltheit des Emo/Post-Hardcore und dem Anspruch der Hamburger Schule klingt. Ein Album wie die Zeit, in der es entstand.

Fazit

8.4
Wertung

Intelligent, rau und brutal ehrlich. Emotional packend und aufwühlend haben Hey Ruin mit ihrem zweiten Album den grandiosen Soundtrack einer grausamen Zeit geschaffen.

Johannes Kley