Reviews

Frank Turner und „Be More Kind“: Sommerliches Highlight

Von der allzu bequemen geistigen Schublade ist auch das dritte Jahrtausend nicht verschont geblieben. Frank Turner hingegen vermittelt einen treffsicheren Gegenentwurf: Grenzüberschreitung ist die Maßgabe.
Frank Turner Be More Kind Cover

Dass derzeitige Popmusik in weiten Teilen einen meterweiten Bogen um Aussagekraft und Haltung macht, ist gemeinhin bekannt. Nur selten wird der Dunstnebel aus eskalierender Feierei und verflossener Liebe durchbrochen – doch Pop und Politik (Gruß an eine Düsseldorfer Institution) können sich wechselseitig beflügeln. „Be More Kind“ unterstreicht diese Aussage mit dem 3000er-Edding.

Ungeklärt bleibt, ob Donald Trumps Wahlkampfslogan von vornherein als Namensgeber eines gesellschaftskritischen Manifests geplant war, doch eines steht fest: „Make America Great Again“ bietet Zündstoff, regt zum Nachdenken an und besticht mit beinahe unverschämter Eingängigkeit. Ein Song, der für sich alleine genommen eine Top-Bewertung rechtfertigen würde. Das von offizieller Seite veröffentliche Musikvideo sei ebenfalls wärmstens ans Herz gelegt.  

Den Facettenreichtum der gesamten CD repräsentieren bereits die Tracks 1 und 2. Während „Don´t Worry“ mit sanften Gitarrenanschlägen und geschmeidiger Indie-Stimmung aufwartet, regiert bei „1933“ Gevatter Rock´n´Roll. Ein ungemein groovendes Stück Musik. Beide Stile, und seien sie noch so unterschiedlich, erscheinen wie ein auf Frank Turners Talent maßgeschneidertes Hemd. Ein Merkmal tatsächlicher Kunst. Das namensgebende „Be More Kind“ geht als klassische Popmusik durch; Streicher und akustische Gitarren begleiten nachdenklichen Zeilen, die sich besonders im Refrain einen tiefen Weg in die Gehörgänge bahnen. Es mag im ersten Moment weit hergeholt wirken, aber „Little Changes“ erinnert mit dessen hintergründigen Gesängen und der zugrundeliegenden Botschaft an Caspers „Ganz schön okay“. Sehr gelungene Nummer.

Die Spitzenklasse des Sängerhandwerks wird auf „Be More Kind“ nicht erreicht; das ist allerdings auch nicht weiter schlimm. Begabte Singer/Songwriter sind in der Lage, mit mehr als dem schnöden Treffen mannigfaltiger Tonhöhen zu punkten. Wer sich diesen Eindruck selbst verschaffen möchte, sollte sich besonders „Common Ground“ oder „Brave Face“ genehmigen.

Es bedarf mit Sicherheit dutzender Durchläufe, bis eine musikalische Sättigung eintritt. Diese unüberhörbare Spielfreude geht eine Symbiose mit inhaltlicher Konsequenz und lebendiger Attitüde ein. Menschen, die den Pop-Appeal der Imagine Dragons zelebrieren und zeitgleich Indie(-Rock) in vollendeter Fassung lieben, werden begeistert sein.

Fazit

8.2
Wertung

Bei mir hat das Durchhören von „Be More Kind“ eine spontane Shopping-Tour durch Frank Turners Diskographie ausgelöst – das spricht für sich.  

Marco Kampe